: Die Schülerzeitungs-Wüste lebt
■ Die Hamburger Jugendpresse: die Schere im Kopf, wie alle Journalisten / Aber den Schulalltag fest im Blick
: die Schere im Kopf, wie alle Journalisten / Aber den Schulalltag fest im Blick
Mit sicherem Griff zieht Thorben Leßmann den Ordner aus dem Regal. Der letzte Zensurfall, den die Deutsche Jugendpresse Hamburg zu verzeichnen hatte, liegt anderhalb Jahre zurück. Die Redakteure der Rahlstedter Schülerzeitung „Phönix“ hatten ein Foto vom toten Uwe Barschel in der Badewanne mit den Worten überschrieben: „Die Null-Bock-Generation gibt es nicht mehr — CDU, Die Zukunft“. Dem Heft mußte auf Drängen des Schulleiters eine Entschuldigung begelegt werden.
Heute ist das Geschichte. Seit gut einem Jahr haben Schulleiter nicht mehr das Recht, die Publikationen ihrer Schützlinge zu zensieren. Für Schülerzeitungen gilt das allgemeine Presserecht. Nichts mehr zu tun für einen Interessenverband wie die DJPH?
Irrtum. Schülerzeitungen kommen und gehen, viele sind Eintagsprojekte, andere bestehen seit zehn Jahren. Und immer wieder haben Schulabgänger das Gefühl, daß nach ihnen die Wüste kommt. So auch Thorben, der diesen Sommer Abitur machte. Zusammen mit drei weiteren erfahrenen DJPH-lern kümmert er sich derzeit sehr liebevoll um den Nachwuchs. In einem einwöchigem Recherche-Seminar werden in den Herbstferien 13 Jugendliche geschult, die bereits Schülerzeitungsredakteure sind oder es gerne werden wollen.
Glaubt man den Experten von der DJPH, so ist Zensur auch heute noch Thema. Da gebe es zunächst die Schere im Kopf, sagt Thorben. Bevor ein Schüler einen Lehrer, von dem er abhängig ist, kritisiert, müßte er sich das dreimal überlegen. Üblich ist auch die „sanfte Zensur“, das sogenannte pädagogische Gespräch, bevor ein Artikel erscheint. Und schließlich sind da die Anzeigenkunden, von denen die Kleinstverleger ganz entschieden abhängig sind. Dem „Phönix“ wurde eine Annonce der Haspa verwehrt, weil ein Artikel über Rechtsradikalismus nicht gefiel.
„Die Schülerzeitungen sind heute braver geworden“, sagt DJPH-Mitglied Utz Leimich. Schülerzeitungsredakteure seien zwar traditionell eher links, zeigten aber ein starkes Bemühen, hehre journalistische Ansprüche wie Ausgewogenheit zu erfüllen.
Ein Blick in die neusten Schülerzeitungen: Da überlegen die Oberstufenschüler der Waldorfschule in Farmsen, ob sie für einen freien Samstag streiken. Eine Klasse in Harburg beschwert sich, daß ihr bunt gestylter Unterrichtsraum in den Ferien wieder weiß gestrichen wurde. Ein Schüler, der einen ruppigen Lehrer auf frischer Tat fotografiert, bekommt mächtig Ärger. Schülerzeitungen sind eben auch
heute noch das Forum, mit dem
sich Schüler zur Wehr setzen. Dabei sind es natürlich auch die „linken Lehrer“, die ihr Fett weg bekommen. So beklagte man sich in einer Eimsbüttler Schülerzeitung
jüngst über eine Pädagogin, die
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ihre Schüler als „Bürokraten“ beschimpfte, weil sie sich nicht an einer spontanen Plakataktion gegen den Golfkrieg beteiligen wollten. Von wegen Bürokraten ...
Kaija Kutter
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