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Der elektronische Indianer

■ Sein Stamm ist über ganz Europa verstreut: Torsten M. (16) aus Obervieland / Neue Serie: Die Bremer Computerkids, 1.Folge

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den Textkasten

Mein Gott, es gibt Leute, die sich ihre Computerspiele und andre teure Programme wahrhaftig noch kaufen, und Torsten M.* wird das nie begreifen. In seinen Schachteln stapeln sich gut 700 Disketten, brühheiße Sachen dabei, und haben keinen Pfennig gekostet. Wenn sich im Kaufhaus alle nach den neuesten Spielen drängen, hat er sie meist schon wieder gelöscht, weil sie ihn längst langweilen. Wenn er was braucht, hat er Verbindungsleute in Paris und London zur Hand. Torsten M., Schüler und zuhause in Obervieland, hat's gut: Er ist Mitglied einer europaweit verzweigten Demo- Group. Ihr Ehrenname: Delight.

Der tiefere Sinn der Demo- Group ist es, in einem fort Demos herauszubringen, Disketten, auf denen die Gruppe zeigt, was sie kann. Torsten führt mir ein paar davon vor: Delight läßt zu kosmischer Schwallmusik Bälle in 16 Farben rotieren; rauhere Seelen wie die von Fraxion haben Kettensägenorgien programmiert, wo jede Menge Schädel gespalten werden; die Gruppe Alcatraz bietet einen selbstgebastelten Sternenflug von rekordmäßigen 45 Minuten Länge, fünf Disketten braucht das Programm. „Alles, damit man sich einen Namen macht in der Szene“, sagt Torsten.

Das ist so einfach nicht. Treacle, eine andere Group, bestehend aus knapp 30 Leuten aus Bremen und umzu, müht sich seit Jahren drum, aber nun ja: „Die sind verschrien in der Szene. Eher alte Leute um die

dreißig; da kommt nicht mehr so viel raus.“ Wer's nicht mehr richtig bringt, heißt Lamer (engl. lame: lahm) im Branchenjargon und fällt den Profis auf den Wecker, weil er's nicht einsieht und überall mittun will.

Wenn es da nicht Mittel gäbe, ihn und gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft draußen zu halten: Das Medium der Demo- Group ist die kopierte Diskette im Briefumschlag. Neulich hatte Torsten, der Sounder der Gruppe, wieder mal neue Musik eingespielt, schickte sie zu Fly Spy nach Paris; aus London kamen dreidimensonale Schriften; und Fly Spy machte irre Grafiken dazu und ließ die Lettern tanzen. Da hat die Post zu tun, bis alles komplett ist.

Die Demo-Leute bringen sich aber niemals mit ihrer Adresse ins Spiel; es wäre bei heikler Ware zu gefährlich. Die Sendungen kommen postlagernd an und sind, solange die Bundespost ihr altes „Paketlagerkarten“-System noch aufrechterhält, mit einer anonymen „PLK-Nummer“ abrufbar. Vorteil: der Empfänger bleibt notfalls ungreifbar. Nachteil: jeder, der die Nummer kennt, kann an die derart adressierte Post ran. Solange aber kaum was schiefgeht, benutzen die Demo-Leute diese PLK- Nummern gern als Briefkästen. Die üblichen Mailboxen allerorten aber rühren sie nicht an: „Da ist nur Schund drin und billiges Zeug“.

Die große Zeit fängt in den Schulferien an. Da kaufen sich, sagt Torsten, alle ihr Tramper- Monatsticket, rauschen von

Lawrence Gartel: Paradise Jungle (1985). Aus: Michael Weisser (Hg.) „Computerkultur - The Beauty of Bits and Byte“, TMS-Verlag Bremen 1989

Treff zu Treff und kopieren und tauschen und kopieren. Manchmal gibt es regelrechte Copy Parties; dort spielt man sich stundenlang Demos vor und organisiert Wettbewerbe. Wenn er einen Raum findet, würde Torsten demnächst gerne in Bremen eine Copy Party steigen lassen. Soll ich schreiben, wo? „Bloß nicht“, sagt er, „dann haben wir die ganzen Lamer am Hals.“

Natürlich hat Torsten zum Beispiel diese Blue Box-Programme zum weltweit kostenlosen Telefonieren; „ich kenne Leute, die tun den ganzen Tag nichts andres mehr“. Und er selber? Zu langweilig und zu riskant, sagt er. Ein seltener Adel. Man hat es, zeigt es und läßt es bleiben.

Eigentlich ist Torsten ein Mu

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die Grafik

sikus. Auf seinem uralten 1000er Amiga hat er ein MIDI-Programm laufen, mit dem er stundenlang herumkomponiert und sich alle erdenklichen Sounds zusammensampelt. Ein Stück spielt er mir vor, betitelt Datalife is dead, einen rasenden Kanon aus barocken Tekkno-Stakkati. „Schrecklich“, sagt er, „daß sich in unsern Schulen da niemand mit abgibt. Das ist doch die Musik der Zukunft.“

Mit der Schule soll man ihm ohnehin lieber gar nicht kommen: „Da gibt's doch wirklich zwei Lehrer, die sich mächtig plagen, uns am Computer noch was beizubringen. Die können wir verarschen, ohne daß sie's überhaupt merken.“

Wegen seiner Vorliebe für die Musik wurde Torsten zum

Sounder von Delight berufen. Anderswo sitzen dann Graficants (wie Fly Spy in Paris) oder Coder oder die sogenannten Swapper: Das sind die mit dem Geld; die haben die besten Geräte und können auf den internationalen schwarzen Software- Märkten „immer den neuesten Stuff besorgen“. Deshalb braucht man die Swapper, jedoch man ehrt sie nicht; ihr Können ist meist bescheiden.

Die Allergeringsten aber in einer Demo-Group sind leider meinesgleichen, die Schreiber, die man nur zum Troste Main Editors nennt: „Die taugen ja bloß zum Schreiben“, sagt Torsten, weswegen sie eigentlich gar keine richtigen Members sind. Man duldet sie nur am Rande des elektronischen Indianerstamms. „Die kann man sich besorgen, wenn man mal ein Mag machen will.“

Torsten macht gerade ein Mag, ein Magazin, welches wie immer auf dutzende Disketten kopiert und sodann wild getauscht und verschickt wird. Torsten zeigt mir seine ausgetüftelte Mauer-Grafik mit vier Fenstern; „andere können da ihre Fotos einscannen“. Oder die Main Editors schreiben die neuesten News auf und wo man scharfen Stuff kriegt.

Manchmal tauchen extra verlockende Angebote auf; „dahinter steckt meistens die Polizei“. Wenn man's mal nicht merkt, heißt es schnell sein: „Dann muß die heiße Ware ab nach Timbuktu“.

Es kommt aber der Tag, da die Luft wieder rein ist. Dann widmet Torsten sich seinem großen, seinem bisher größten Plan: „Ich will ein Programm schreiben“, sagt er, „für Übersetzungen aus dem Lateinischen in Deutsche. Alles vollautomatisch. Ich glaub, das krieg ich hin.“ Manfred Dworschak

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