: Erstmals Ausländer im IGM-Vorstand
Triumph für Franz Steinkühler bei den Wahlen zum IG-Metall-Hauptvorstand ■ Aus Hamburg Martin Kempe
Einen Triumph für den bisherigen Vorsitzenden und eine Überraschung brachten die Wahlen zum Hauptvorstand der IG Metall auf dem Hamburger Gewerkschaftskongreß: Franz Steinkühler wurde mit fast 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt, mit dem Türken Yilmaz Karahasan kam zum erstenmal ein Ausländer in das Spitzengremium der Gewerkschaft. Karasahan bekam 470 Stimmen und löst den blassen Karl- Heinz Hiesinger im Hauptvorstand ab. Damit folgten die Delegierten bei dieser Personalentscheidung nicht dem Vorstandsvorschlag.
Franz Steinkühler hat auf diesem Gewerkschaftstag wieder einmal gezeigt, daß er mehr ist als der Vorsitzende einer überaus großen und mächtigen Organisation. Er ist das Medium der IG Metall. Nach stundenlanger, zum Teil kontroverser Diskussion mit mehr als siebzig Debattenbeiträgen nimmt Steinkühler in seiner abschließenden Stellungnahme die Bälle und Argumente der Kritiker auf, spielt mit ihnen, wendet sie rhetorisch hin und her, ohne sie ernsthaft zu diskutieren, bis er seine Botschaft verkündet, daß allen Delgierten das Herz warm wird: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Und solange die IG Metall kämpfen kann, wird sich daran nichts ändern“, ruft er dann mit erhobener Stimme in den Saal — und niemand merkt, daß er mit dieser Formulierung eine Eingrenzung vorgenommen hat, die viele Möglichkeiten der Grundgesetzänderung offenläßt. Und welcher Delegierte hat schon den Aufsatz des IG-Metall-Justitiars Michael Kittner in der jüngsten Ausgabe des IGM- Funktionärsorgans Gewerkschafter zur Kenntnis genommen, in dem vehement für eine Grundgesetzänderung plädiert wird?
Steinkühler ist das Medium. Er spielt mit den tiefsitzenden Gerechtigkeitssehnsüchten der Gewerkschafter, mobilisiert sie für seine Position: „Die Unternehmer brauchen keinen Solidarpakt“, hält er den Debattenrednern entgegen, die gegen Verhandlungen mit der Regierung sind. „Die einen Solidarpakt brauchen, sind wir. Wir müssen diesen Solidarpakt von der Regierung fordern“, denn — und da wird seine Stimme ganz leise — „was passiert, wenn wir alles so lassen, wie es ist?“ Das weiß angesichts des aktuellen Zusammenbruchs der ostdeutschen Industrie, angesichts der steigenden Massenarbeitslosigkeit in beiden Teilen Deutschlands jeder im Saal.
Also wird die IG Metall trotz aller Polemiken gegen Möllemann weiter mit der Bundesregierung verhandeln. Und was sie in den Solidarpakt einzubringen gedenkt, war gestern der Financial Times zu entnehmen. In einem Gespräch mit dem nicht gerade mitgliedernahen US-Blatt hatte Steinkühler angeboten, im Westen für fünf Jahre auf Netto-Reallohnerhöhungen zu verzichten, also Inflation und Steuererhöhungen durch Lohnerhöhungen auszugleichen, aber den darüber hinausgehenden Produktivitätszuwachs der Wirtschaft nicht in die Löhne, sondern in höhere Transferleistungen Richtung Osten fließen zu lassen. Schon einmal hat die IG Metall mit dieser Marschroute Tarifpolitik gemacht: beim Abschluß der Tarifverträge über die Arbeitszeitverkürzungen in den achtziger Jahren blieben die Reallöhne mehr oder weniger konstant, während der darüber hinausgehende Verteilungsspielraum in die Arbeitszeitverkürzung geflossen ist.
Diskutiert wurde dieser Vorschlag bislang nicht. Es scheint, als hätten die unsicheren Zeiten das Harmoniebedürfnis der IG-Metaller wachsen lassen. Nicht nur ihren Chef wählten sie mit einem Traumergebnis. Auch der stellvertretende IGM-Vorsitzende und Tarifpolitiker Klaus Zwickel konnte sich in einem nahezu 90prozentigen Wahlergebnis sonnen. Und der umstrittene IGM- Kassierer Werner Schreiber, der sich eines Gegenkandidaten erwehren mußte, fuhr ein Ergebnis von 67 Prozent nach Hause.
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