: Kosovo: Vor der Eskalation?
In der ehemals autonomen Region Serbiens fordern Hunderttausende die Wiedereröffnung der albanischen Schulen ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler
„Der nächste Konfliktherd wird Kosovo sein“, mit dieser düsteren Prophezeihung hatten seit Monaten die albanischen Politiker dieser ehemals autonomen Region Serbiens die Weltöffentlichkeit vor einer Eskalation des Balkan-Krieges gewarnt. Doch während in Bosnien Zehntausende starben, wurde aus Pristina „lediglich“ die Schließung der albanischsprachigen Schulen, Massenentlassungen und die Festnahme der Abgeordneten des Kosovo-Parlamentes gemeldet. Bis zum Beginn dieser Woche. Bereits am Montag waren allein in der Hauptstadt 100.000 Menschen auf die Straße gegangen, bei Kundgebungen gegen die Schließung der Universitäten kam es am Dienstag zu Massenverhaftungen, Tränengas- und Schlagstockeinsatz.
Während am Mittwoch der Premierminister Rest-Jugoslawiens, Milan Panic, sofort in den Kosovo reiste, richtete Cetnik-Führer Vojislav Seselj eine deutliche Warnung an die albanischen „Unruhestifter“: Wenn sie nicht lernten, wie man sich in Serbien zu benehmen habe, sollten sie nach Albanien ausgewiesen werden. Und auch der serbische Präsident Milosevic ließ erklären, daß er mit den „albanischen Separatisten“ nicht verhandeln werde. Eine klare Attacke gegen Panic, der deutlich gemacht hatte, daß er bereit sei, den Minderheiten größere Rechte einzuräumen. Im Falle der zwei Millionen Kosovo-Albaner heißt das für ihn: eigene Schulen mit albanischsprachigem Unterricht.
Doch inzwischen wollen die albanischen Politiker mehr als nur die Wiedereröffnung der Schulen. Neben einer Beteiligung an den internationalen Jugoslawien-Konferenzen geht es ihnen um die staatsrechtliche Stellung ihrer Region. Dabei gibt es allerdings keine einheitliche Position. Während die einen einen Anschluß des Kosovo an Albanien fordern, würden sich andere — zumindest vorerst — mit der Wiederherstellung der Autonomie zufriedengeben. Doch auf diese Forderungen kann selbst Panic kaum eingehen. Denn nicht nur Milosevic, auch die serbische Intelligenz und die oppositionellen Parteien können sich mit dem Gedanken, Kosovo zu „verlieren“, nur schwer anfreunden. Oppositionsführer Vuk Draskovic: „Pristina ist unser Jerusalem — dafür sterben wir, hergeben werden wir es nie.“
Einen Erfolg seiner Vermittlungsbemühungen konnte Panic dagegen am späten Dienstag abend vermelden. Gemeinsam mit Lord Owen, dem Vorsitzenden der Jugoslawien-Konferenz, und Radovan Karadzic, dem Führer der bosnischen Serben, wurde eine Vereinbarung über den Abzug der serbischen Luftwaffe aus Bosnien und ihre Kontrolle durch die UNO unterzeichnet.
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