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„Sag ihnen, die Alte krabbelt noch!“

Lotti Huber feiert heute ihren achtzigsten Geburtstag  ■ Von Klaudia Brunst

„Ja Kindchen, dann komm doch einfach vorbei, und wir plaudern ein wenig über mich“, hatte Lotti Huber durch den Telefonhörer geflötet, als ich sie um ein Interview anläßlich ihres achtzigsten Geburtstags gebeten hatte. Nun stehe ich pünktlich vor ihrer Belle-Etage-Wohnungstür – auf dem Messingschild neben der Klingel steht immer noch „Studio Huber“ – und frage mich zum hundertundeinundzwanzigsten Mal, was – oder besser wer! – mich gleich hinter dieser Tür wohl erwarten wird. Lotti Huber: die unwürdige Greisin, das Geschöpf Rosa von Praunheims? Die Mutmacherin der Nation, Vorbild für alle Rentnerinnen über fünfundsechzig?

Die positiven wie negativen Klischees reihen sich in der Presse munter aneinander, vielleicht stimmt von allem ein bißchen. Lotti Hubers Biographie ist verwunden und gespickt mit tragischen Momenten, komischen Begebenheiten, und es war stets geleitet von einem unerschütterlichen Lebenswillen. Wer weiß schon, daß die jüdische Tochter aus gutem Hause ein Jahr im KZ Lichtenburg war? In ihrer Autobiographie „Diese Zitrone hat noch viel Saft!“ machen die Schilderungen aus dieser Zeit gerade einmal sieben Seiten aus. „Im Grunde hatte ich Glück, denn ich verbrachte nur ein Jahr in dieser Hölle“, beschließt Lotti Huber diese schreckliche Episode und erzählt munter weiter Anekdoten aus ihrem Leben. Was für ein Glück?

Ein hübscher junger Mann öffnet mir die Tür zu Lottis Allerheiligstem, führt mich durch einen mit allerlei Plünnen vollgestellten Flur in ein großes helles Zimmer. Ein riesiger Spiegel dominiert den Raum, es ist das alte Tanzstudio, wo die gelernte Ausdruckstänzerin auch heute noch Stunden abhält. „Lotti kommt gleich“, verabschiedet sich der Jüngling höflich, und ich stehe etwas ratlos da mit meinen Champagnertrüffeln in der einen Hand und dem Aufnahmegerät in der anderen. Da kommt sie um die Ecke, reicht mir strahlend und wimpernklimpernd die Hand – sie ist noch etwas kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte, aber mit ihrem weiten Walhalla-Gewand, dem hohen Dutt und den übermächtigen Ohrclipsen sehr groß in ihrer Erscheinung.

„Na Kindchen, dann man los!“ fordert sie mich auf, und ich gebe mir einen Ruck, beginne einfach mit meiner drängendsten Frage: Ob sie sich eigentlich in jüngster Zeit immer noch so wohl in Berlin fühlen kann – jetzt nach Rostock, den brennenden Asylantenheimen, dem neuen Rechtsruck? „Jede Zeit ist meine Zeit“, antwortet Lotti mir sibyllinisch. „Du mußt wissen, diese Leute, die sich von dem, was sie erlebt haben, nicht lösen können, die leben ja gar nicht! Die sind tot. Der größte Sieg meines Lebens ist der gegenüber den deutschen Nazis: Denn ich lebe! Ich habe nicht nur physisch überlebt, ich genieße mein Leben. Ich bin heute unglaublich glücklich und eben nicht seelisch gestorben. Das ist mein Triumph!“

Viele Leute nehmen Lotti Huber gerade diese Haltung sehr übel. Man erwartet Ernsthaftigkeit, Trauer oder gar Verbitterung von dieser alten Dame, aber sie will diese Erwartungen partout nicht erfüllen. Es ist die ihr eigene Kunst, Abschied nehmen zu können, nach vorne zu denken und immer wieder neu zu beginnen, die sie seelisch so unbeschadet durchs Leben getragen hat. In der Emigration in Palästina hielt sie sich mit Tanzauftritten in einer zweifelhaften Vergnügungsbar über Wasser. Später war die höhere Tochter Barbesitzerin in Zypern, leitete ein kleines Restaurant in London. Als ihr zweiter Ehemann Colonel Huber starb, war Lotti sechzig, hatte keine Rente, keine Ersparnisse, aber eine viel zu große Berliner Belle-Etage-Wohnung, die sie unbedingt behalten wollte.

Wer über diese quirlige, bis zur Verzweiflung fröhliche Person richten will, sollte nicht vergessen, daß sie die dann folgenden sieben Jahre durch Berliner Markthallen tingelte, um sich als Handelsvertreterin in Sachen Schnaps ihren Lebensunterhalt zu verdienen. „Dieses unglaubliche Wechseln und diese permanente Ungewißheit der Existenz waren für mein Leben eine unglaubliche Bereicherung!“ kommentiert sie das Auf und Ab ihrer Biographie. Dann zieht sie einmal mehr kräftig an ihrem Zigarillo und setzt nach: „So schwer es auch war, ich habe immer an der Peripherie gelebt.“ Sie kenne Leute, die nach dem Krieg einfach wieder zurückgekehrt sind in ihr bürgerliches Leben, als sei überhaupt nichts geschehen. „Das kann ich nicht, konnte ich nie.“

Es war sicher einer dieser nicht planbaren Glücksfälle in Lotti Hubers Leben, als sie eines Tages auf Rosa von Praunheim traf. „Oh ja!“ erinnert sich die Huber mit einem koketten Lächeln, er sei damals so bizzar gewesen, mit so vielen verrückten Ideen, die sich beileibe nicht alle mit ihrem Dickkopf unter dem Dutt deckten. „Aber er hat mich sehr stimuliert, fasziniert und inspiriert“, lächelt Lotti Huber mich an, und es soll wohl auch ein wenig zweideutig wirken.

Sie kokettiert immer noch sehr gerne mit ihrem Sexappeal, nimmt in Talk-Shows kein Blatt vor den Mund – gerade wie man es von einer unwürdigen Greisin erwartet. Das ist Business. Klappern gehört zum Handwerk. Lotti weiß das, erledigt ihre Auftritte, Interviews und Showtermine mit Souveränität – und ohne wirklich jemanden oder etwas an sich herankommen zu lassen.

Lotti Huber ist und bleibt wohl immer eine gewollte Provokation. Über die vielen Anfeindungen aus allen Lagern der Gesellschaft kann sie – will sie? – nur lachen. Ob ich diesen unsäglichen Artikel in der letzten Zitty gelesen hätte? möchte sie wissen, springt auf, läßt sich von dem jungen Mann die Zeitung bringen und liest mir genüßlich die vierzigzeilige Haßtirade vor. „So jung wie Frau Huber möchte ich nie werden!“ steht da zum Abschluß. „Kann der gar nicht!“ entfährt es Lotti, und sie verlegt sich mit vielen Worten darauf, ihre harschen Kritiker dafür zu bedauern, daß sie offenbar nichts anderes mit ihrem Leben anfangen können, als sich über Lotti Huber aufzuregen.

Wir plaudern noch ein wenig über das Leben, die Liebe und ihren großen Auftritt im Schloßpark-Theater am Samstag. Über den Tod reden wir nicht, das ist nicht ihre Sache. Was kommt, kommt. Noch denkt Lotti Huber lange nicht daran zu sterben. Jede Zeit ist ihre Zeit. Und nur diese Zeit zählt. „Schönen Gruß an alle!“ gibt sie mir im Hinausgehen mit auf den Weg, „Sag ihnen, die Alte krabbelt noch!“

Zum Abschied schenkt sie mir ein Buch. Es ist ihr zweites, „Jede Zeit ist meine Zeit“, eine Sammlung von Interviews und Gesprächen. „Die Plauderei ist ihr Metier, und kaum ein Interviewer vermag die Fäden in der Hand zu behalten“, lese ich da in Peter Süß' Vorwort. Wie tröstlich, daß auch meine Kollegen nicht wirklich hinter die Schale dieser unkonventionellen Zitrone gekommen sind. Aber warum auch. Warum will man eigentlich immer unbedingt hinter diese falschen Wimpern blicken, mag nicht zulassen, daß sich Lotti Huber einfach so fröhlich und unbekümmert darstellt, wie sie es für wahr hält?

Wieder auf dem Ku'damm, frage ich mich, wie alt man in diesem Land eigentlich werden muß, um ungestraft glücklich sein zu dürfen, und höre derweil noch einmal in mein Tonband hinein: „Akzeptier mich, und ich bin glücklich. Akzeptier mich nicht, and it is your problem, not mine!“ sagt die Huber da gerade. Zufälle gibt's!

Morgen abend gibt Lotti Huber anläßlich ihres Geburtstages um 20 Uhr ein Gastspiel im Schloßpark- Theater. Kartenvorverkauf unter 7931515 oder 3126505

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