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Geheimsender werden gelüftet

■ El Salvador: Rebellen-Radios auf dem Weg in die Legalität

Santiago ist nervös. Nur noch wenige Minuten fehlen bis zum Anpfiff des Endspiels um die salvadorianische Fußballmeisterschaft. „Wenn die Sendung danebengeht, wirft uns das gewaltig zurück“, sagt er.

Kaum zwei Wochen ist es her, daß die Guerilleros der Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) die Sendeeinrichtungen von Radio Venceremos mit einem alten Lastwagen aus den Bergen in die Hauptstadt geschafft haben. „Nur drei Tage haben wir nicht gesendet“, erklärt Santiago, seit zehn Jahren Sprecher, Chefredakteur und Programmdirektor des Rebellen-Radios. Die meiste Zeit davon hat er in versteckten Höhlen gehockt, im Kugelhagel Interviews geführt. Jetzt ist der Krieg vorbei. Santiago wischt sich den Schweiß von der Stirn und bittet mit einer Handbewegung um Ruhe. „Der Kampf um soziale Gerechtigkeit in unserem Land geht weiter. Für uns und die Companeros von Radio Farabundo Marti ist die Zukunft fast eine größere Herausforderung als die Vergangenheit.“

Das am 16.1. 1992 in Mexiko- Stadt unterzeichnete Friedensabkommen zwischen der FMLN und der salvadorianischen Regierung sieht auch die Legalisierung der bis dahin klandestinen Medien der Guerilla vor. Besondere Bedeutung hat dabei die Umwandlung der Rebellen-Sender Radio Venceremos (RV) und Radio Farabundo Marti (RFM). Die Massenmedien in El Salvador werden zu weiten Teilen von der Regierung beziehungsweise der regierenden ARENA-Partei, dem ihr nahestehenden Unternehmerverband ANEP oder den Streitkräften kontrolliert.

Der Hörfunksektor scheint auf den ersten Blick weniger monopolisiert als das Fernsehen; dennoch beherrschen auch hier zwei Besitzer mit engen Beziehungen zur ARENA acht der zehn größten Sender. Die Existenz von zwei neuen Radiosendern tastet das quantitative Ungleichgewicht in den Medienstrukturen des Landes zwar nicht wesentlich an, kann aber doch erhebliche Verbesserung in der Versorgung der Bevölkerung mit journalistisch ansprechenden Hörfunkprogrammen mit sich bringen.

Radio Farabundo Marti ist der Sender der „Volksbefreiungskräfte“ (FPL), der größten von insgesamt fünf in der FMLN zusammengeschlossenen Guerillaorganisationen. Das Radio ging erstmals vor zehn Jahren auf Sendung. Täglich bis zu drei Stunden berichtete RFM von den Kriegsfronten, über Menschenrechtsverletzungen und Aktivitäten der Volksbewegungen. Immer wieder Ziel von größeren Expeditionen der Regierungsarmee, bleiben die Sendeeinrichtungen bis 1991 in den Bergen versteckt. Der Umzug in die Hauptstadt San Salvador im März '92 brachte eine Ausweitung des täglichen Sendebetriebes auf 16 Stunden mit sich. Das aktuelle Programm enthält vier größere Wortblöcke von 30 bis 90 Minuten. Dazu gibt es neun kurze Nachrichtensendungen sowie aktuelle Reportagen und Interviews. Auch in die Musiksendungen sind kurze Kommentare, Meldungen und Telefongespräche mit HörerInnen eingestreut. Für die Zukunft sind weitere Sendungen geplant, die von Frauenverbänden, christlichen Basisgruppen, der Indigena-Organisation ANIS und Jugendlichen gestaltet werden.

Radio Venceremos, eine Einrichtung des „revolutionären Volksheeres“ (ERP), nahm am 10.Januar 1981 seinen Sendebetrieb auf. Dieses Datum, an dem die FMLN erstmals eine landesweit koordinierte Militäroffensive startete, markiert gleichzeitig den offiziellen Beginn des Bürgerkrieges. Mit einer eigenen Film- und Videoproduktion und einem Nachrichten-Service für mittelamerikanische Medien avancierte RV in der Folgezeit zur „offiziellen Stimme“ der FMLN. Mehrfach meldete der salvadorianische Generalstab in den Kriegsjahren die Zerstörung des Senders, doch stets war RV am folgenden Tag pünktlich um 18 Uhr wieder in Morazan und weiten Teilen des Ostens zu hören. Seit April 1992 sendet RV aus der Hauptstadt. Frühmorgens und abends, zu den „historischen“ Sendezeiten, wird nach Perquin in Morazan geschaltet, von wo ein Regionalprogramm für die Mitglieder der FMLN, die Rücksiedlungen und die Landbevölkerung im Osten des Landes ausgestrahlt wird.

Inzwischen ist der Verein „Asociacion Radio Nueva“ (ANR) als gemeinsame Dachorganisation der beiden Radios ins Leben gerufen worden. Seine wesentliche Aufgabe sieht ANR in der „Transformation der Radios in professionell gemanagte Medien, die sich einer Unterstützung des demokratischen Prozesses in El Salvador verpflichtet fühlen“. Ob Radio Venceremos und Radio Farabundo Marti sich aber tatsächlich in der nationalen Rundfunklandschaft behaupten können, hängt neben dem Fortgang des Friedensprozesses vor allem von der Kreativität und Ausdauer der Radioleute selbst ab. „Ohne festes Gehalt können wir noch eine Zeitlang überleben“, sagt Santiago. „Ohne das Gefühl, etwas zu bewegen, aber nicht.“ Dann holt man ihn wieder ans Telefon. Die Anrufe mit Glückwünschen über die gelungene Fußballübertragung reißen nicht ab. Reimar Paul

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