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■ Schöne Neue Welt an der Universität ErlangenIm Schlachthof des Möglichen

Unsere Leichen leben am längsten. Sie können sogar Kinder kriegen: unsere Ärzte machen's möglich. Im ewigen Wettlauf mit dem Denkbaren, das an der Wirklichkeit scheitert, verzeichnet die Wissenschaft in vermutlich 6 Monaten einen weiteren Triumph: eine klinisch tote Frau wird, mit welchem Gemetzel auch immer, von einem Kinde entbunden, und das Ganze kostet nicht mal mehr als 100.000 Mark.

Für eine wirkliche Würdigung ist hilfreich, sich die Fakten zu vergegenwärtigen. Da liegt ein menschliches Gebilde, das nach klinischen Begriffen tot ist: das Hirn sendet keine Ströme mehr, was normalerweise den Ausschlag dafür gibt, alle Maschinen abzuschalten. Der leitende Chirurg Scheele hat sich mit den Eltern der toten Frau dafür entschieden, dem 14 Wochen alten Embryo das Leben zu retten. Dazu wird der Körper der Frau in Gang gehalten, das Herz wird bewegt, der Fötus wird ernährt; die Leiche ist als Ganzes eine Organspende für den erwarteten Säugling. Ob die Leibesfrucht eines toten Biotops an dieser Lebensrettung Schaden nimmt, scheint nicht weiter zu beschäftigen; vielleicht läßt sich ja auch mit der Implantation eines Kassettenrecorders im Gebärmutterhals, der die Jupitersinfonie dudelt, der menschlichen Psyche Rechnung tragen, die bedauerlicherweise auf so etwas wie Beziehung angewiesen ist.

Einen Nachweis dafür hat der König beider Sizilien geliefert, der als Erstaufklärer gilt und Kinder isolierte, um herauszufinden, wie sie sich entwickeln: leider gar nicht, oder nur zum Tode. Es gehört zur Nachtseite der Wissenschaft, daß probiert werden muß, was probiert werden kann; menschliches Probandenmaterial gibt es an Arbeitsplätzen, in Krankenhäusern und im rechtsfreien Raum, der Umwelt heißt. Im Land des Papstes ist man tapfer mit der Herstellung eines Reagenzglas-Uterus beschäftigt, der endgültig die Frauen überflüssig macht. Ist es erst gelungen, den künstlich befruchteten Fötus länger als die bisherigen vier bis sechs Wochen am Leben zu erhalten, ist der Master of the Universe am Ende angekommen: genetisches Material im Angebotskatalog, Befruchtung künstlich, Austragungsort Labor, Geschlechtsbestimmung frei. Vielleicht klingt der Satz „Ich bin Kind einer Leiche“ ja doch irgendwie menschlicher als „Meine GebärMutter war ein Reagenzglas.“

Es ist politisch vermutlich kein Zufall, daß das Experiment mit dem Fötus in Bayern stattfindet, wo die gesellschaftliche Schlacht um das Recht auf Leben in der Bauchhöhle des Katholizismus besonders heftig ausgetragen wird. Die letzten Zuckungen scholastischen Zartgefühls, mit dem die Frau als vas (Gefäß, Aufnahmebehälter) beschrieben wird, finden hier wissenschaftliche Vollendung. Es ist mit Sicherheit auch kein Zufall, daß ein männlicher Mediziner als erster die schwere Entscheidung auf sich nahm, eine weibliche Leiche ihrer Letztbestimmung zuzuführen. Notwendig aber ist die Einsicht, daß dieser deutsche Präzedenzfall das Faktum schafft, auf das die Nachkommen sich berufen werden.

Daß der menschliche Leib zum Körper wurde, entspricht der Logik unserer Wissenschaft; daß die Ethik dem Herrschaftswissen nachläuft, ist eine nicht aufhebbare Ungleichzeitigkeit. Die beziehungsfreie Fertigung eines Individuums ist denkbar, und das Naturrecht hat ohnehin abgedankt: aus einem Begriff von „Natürlichkeit“ lassen sich im 20.Jahrhundert keine Argumente mehr beziehen. Vielleicht sollte das Denken nicht an der materialen Wirklichkeit, sondern an der Empfindung seine Grenze finden. Elke Schmitter

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