piwik no script img

Nathan der Gebrannte

■ Premiere am Goetheplatz: „Nathan der Weise“ von G. Ephraim Lessing

Was Opfern des Deutschunterrichts zu Lessings Nathan einfällt, ist etwa: Ringparabel, Aufklärung, Toleranz durch Pädagogik, d.h. viel Norm, wenig Leben, viel Papier.

Was wir im Bremer Nathan sehen, ist das Feuer. Vor allem Anfang frißt es sich oben am Bühnenvorhang lang. Musik, irgendwo zwischen Wagner und Lloyd Webber, tatsächlich aber von Peer Raben, hinreißend, spannungsreich ansteigend bis zum großen Knall, das Feuer ist durch, der Vorhang fällt und gibt eine fast leere Bühne frei, auf der es noch letzte Flammen züngeln. Das Stück beginnt nach dem Brand.

Den Nathan den Weisen, der am Donnerstag am Theater am Goetheplatz Premiere hatte, hat Hansgünther Heyme vor Jahren in Stuttgart erarbeitet; Barbara und Jürgen Esser haben die Inszenierung für Bremen neu eingerichtet. Zwischen vielen Feuern bewegt sich Nathan, ein reicher Jude, im moslemisch beherrschten Jerusalem des 12. Jahrhunderts. Das Feuer, das vor Beginn der Handlung liegt, hat ihm fast seine Tochter Recha verbrannt. In einem Feuer hatten Kreuzritter seine Frau und seine sieben Söhne, massakriert. Danach schickte sein Gott ihm Recha, so sieht er das, als Findelkind überreicht von einem Christen.

Wolfgang Roberts Nathan ist „weise“ immer erst spät; zu sehen kriegen wir ihn als einen Gebrannten, dessen Liebstes, sein Kind, immer wieder bedroht ist. Kaum einen Satz, den der Mann ruhig spricht; dieser Nathan rast wie Karl Moor, immer wieder geht mit ihm — manchmal unerklärliche — Leidenschaft durch, der Dank an seinen Gott, wenn Recha von einem christlichen Tempelherren aus dem Feuer geholt wurde, das Händezittern, wenn er sich mit gekrümmtem Rücken dem Sultan nähert, der ihn rufen er ließ und er weiß nicht warum, konvulsivisches Gelächter, wenn der nicht mehr als Geld von ihm will.

Hört man auch am Anfang dieses Durchbrennen der gesetzten Rede mit Unverständnis und Erstaunen; nervt es auch, wenn es sich häuft; gellt es einem auch oft wie pathetisches Händeringtheater aus der Mottenkiste in den Ohren; so zwingt es einem doch eine Ahnung auf, woher es es kommt: aus dem heißen Boden Jerusalems.

Im Deutschen Theater in Berlin ist gerade ein swingender, großartiger Nathan zu sehen, ohne diesen Hang zur Sturzverzweiflung, die in Bremen außer aus dem Nathan auch aus dem Derwisch (Peter Kaghanovitch) und dem Tempelherrn (Volker Lippmann) hervorbricht; da ist der Saladin nicht stocksteif sondern schwulcharmant und schlitzohrwitzig. Aber dieses Heiße des „multikulturellen“ Jerusalems, wo Christ und Muselmann ständig zwischen Neid und Wut und Nähe und antijüdischem Blitzableiten hin und her oszillieren, das sieht und begreift man besser hier.

Vor allem auch durch die Funken, die Volker Lippmann aus dem Tempelherren schlägt. Rechas „Engel“ im weißen Leinsakko, barfüßig wie Eichendorfs Taugenichts, romantisch, judenfeindlich, ein idealistischer Christ, er verachtet Nathan für die Arroganz des auserwählten Volkes und befreundet sich mit ihm, als er seine Demut kennenlernt. Er verachtet Recha, das Judenmädchen, und verliebt sich doch in sie.

Doch als der Funke dieser sehr orientalischen Recha (Marina Mathias) übergesprungen ist, minutenlang, und er erfährt, daß sie eigentlich Christin ist, packt ihn wieder antijüdisches Mißtrauen, er intrigiert gegen Nathan bei dem Patriarchen (Hans Schulze), der in dubio immer findet, „der Jude muß brennen“. Endlich mal einer im Theater, der ankommt als Antisemit, ein schlimmer „Laffe“ und tumber Schwab, der dennoch nicht vorgeführt wird, sondern der taumelt zwischen Feind- und Liebschaft, zwischen Blindheit und Erkennen, und es ist toll.

Das Publikum hat's auch so gesehen. Den Tempelritter und den komödiantischen Klosterbruder von Sebastian Dominik hat es besonders bejubelt und der Regie zwei Bravos gestiftet. Uta Stolle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen