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Sarajevo wieder für Hilfe offen

■ Augenzeugen berichten von systematischem Völkermord in Bosnien/ Schon 150.000 Tote?

Genf/Sarajevo/Split (taz) – Während die serbischen Truppen auch am Wochenende ihre Offensive gegen muslimische und kroatische Stellungen in Bosnien fortsetzten sowie getroffene Vereinbarungen brachen, machten ihre Führer wie auch Vertreter der Belgrader Regierung neue Versprechungen und Ankündigungen bei der Genfer Jugoslawienkonferenz.

Die UNO-Truppe UNPROFOR erreichte die Öffnung der drei Tage lang von bosnisch-muslimischen Einheiten gesperrten Straße nach Sarajevo für Hilfskonvois. Aus der bosnischen Hauptstadt gab es Berichte über einen Putschversuch gegen Präsident Alija Izetbegović.

Bei ihren Angriffen vor allem gegen die nordbosnischen Städte Bihac und Jajce setzten die Serben neben Artillerie und Panzern erneut auch Kampfbomber ein. Vor diesem Hintergrund stieß die Ankündigung auf große Skepsis, mit der Serbenführer Karadzić am Samstag Genf in Richtung Banja Luka verließ: Er werde seinen Luftwaffengeneral Zivomir Ninvović wegen dessen Weigerung, alle Kampfflugzeuge aus Bosnien-Herzegowina nach Serbien abzuziehen, „degradieren“, versprach Karadzić den Vorsitzenden der Genfer Konferenz, David Owen und Cyrus Vance.

Der Ministerpräsident Rest-Jugoslawiens, Milan Panić, stellte Owen und Vance die Anerkennung Kroatiens und Mazedoniens durch Belgrad in Aussicht– falls diese beiden Staaten umgekehrt Rest- Jugoslawien anerkennen würden.

Die Anerkennungsfrage soll Hauptthema der für den morgigen Dienstag geplanten Genfer Begegnung zwischen den Präsidenten Kroatiens und Serbiens, Franco Tudjman und Dobrica Cosić, werden. Die beim letzten Genfer Treffen der beiden Präsidenten am 30. September geschlossene Vereinbarung wird offensichtlich nicht eingehalten: Vance und Owen erhielten am Sonntag – ebenso wie der UNO-Sicherheitsrat in New York – eine Protestnote des Präsidenten von Bosnien- Herzegowina. Darin wirft Izetbegović der Belgrader Regierung vor, ihre bislang auf der kroatischen Halbinsel Prevlika südlich von Dubrovnik stationierten Truppen nicht – entsprechend der Vereinbarung Tudjman-Cosić – direkt nach Serbien abzuziehen.

Statt dessen würden die Soldaten mitsamt ihren Waffen zur Verstärkung der serbischen Verbände in Bosnien-Herzegowina eingesetzt. Journalisten, die den Abzug von Prevlika beobachten, bestätigen diese Darstellung. Aus Sarajevo wurde am Sonntag gemeldet, daß Einheiten der bosnischen Armee, die den bisherigen Präsidenten Izetbegović unterstützten, am Samstag das Radio- und Fernsehgebäude umstellt hätten. Offensichtlich hat sich eine Fraktion der bosnischen Regierung unter dem Präsidiumsmitglied Ejup Ganić gegen Izetbegović gestellt, dem von radikaleren Muslimanen ein zu weiches Vorgehen vorgeworfen wird.

Zunehmende Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung Bosnien-Herzegowinas beziehungsweise mangelnde Kontrolle über die eigenen Truppen sind möglicherweise auch der Hintergrund für die Straßenblockade, mit der bosnische Soldaten drei Tage lang die Versorgung der notleidenden Bevölkerung Sarajevos durch UNO-Hilfskonvois verhindert haben.

Begründet hatten sie die Blockade mit der Gefahr von Angriffen serbischer Panzerverbände. Erst in der Nacht zum Sonntag gelang es der UNO-Truppe UNPROFOR endlich, die bosnischen Verbände dazu zu bringen, die strategisch entscheidende Straße wieder zu räumen. Andreas Zumach

Siehe auch Seiten 2, 3 und 10

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