: Dylan kann nicht singen Von Mathias Bröckers
„Der sieht ja aus wie ein Opa“, kommentieren die Kinder, als der Meister endlich auf die Bühne kommt. Und wie er den „Song for Woody“ gequält näselnd aus sich herausjaunscht, scheint ihnen unfaßbar: „Der kann ja gar nicht singen!“
Nun machen Sie mal zwei Zehnjährigen, die auf Kris Kross und Michael Jackson stehen, klar, daß dieser Barde von der traurigen Gestalt als der Super-Mega- Star schlechthin gelten muß, ein Genius, ohne den die ganze Popmusik gar nicht vorstellbar ist. Ich versuche es mit einer Entschuldigung: Bob Dylan hat immer das gemacht, was gerade nicht angesagt war.
Als in den 50ern alle nur von Herz und Harmonie sangen, sang er von Unterdrückung und Krieg, als er in den 60ern zum Star mit der Wandergitarre wurde, nahm er die elektrische und verjagte die Fans mit Heavy-Rock, als in den 70ern politische Botschaften angesagt waren, sang er von Jesus und Liebe, und heute, wo zum 30jährigen Plattenjubiläum alle Welt zuschaut und einen bombastischen Auftritt erwartet, kommt er mit der Wanderklampfe und schrammelt ein simples Lied aus seinen Anfangstagen.
Das ist nicht die einzige Entschuldigung, die ich während der über dreistündigen Aufzeichnung gegenüber den jugendlichen Musik-Kritikern anbringen muß – daß diese älteren Herrn, die den Jubilar im Madison Square Garden mit einem Geburtstagsständchen ehren, so bedeutend für die aktuelle Kultur waren wie kaum eine andere Menschengruppe, die je gemeinsam auf einer Bühne stand, ist ihnen heute weder anzusehen noch anzuhören.
George Harrison zum Beispiel, im lila Jackett, sieht aus und singt wie ein Versicherungsvertreter – meine Erläuterung, daß er mit den „Beatles“ einst kaum überschätzbare Heroen-Taten vollbrachte, wird überraschend schnell akzeptiert, an den „Beatles“ muß was dran sein: „Michael Jackson hat alle Rechte an ihren Platten gekauft“, wissen die Experten. Auch Eric Clapton, der aussieht wie der späte Reinhard Mey, erhält einen Bonus – seine neue Version von „Layla“ ist aus der aktuellen Hitparade bekannt, daß die geilen Akkorde aus der Opel-Reklame ebenfalls von ihm sind, stößt auf Respekt. Daß aber Lou Reed, optisch und akustisch monoton wie ein Filialleiter, einst als „Rock 'n' Roll Animal“ Meilensteine setzte, oder Neil Young, der gitarrenhackende Mann im Holzfällerhemd, zusammen mit Crosby, Stills und Nash den sanften Groove der 70er initiierte – diese musikpädagogischen Überredungsversuche wollen ebensowenig fruchten wie meine Lobpreisungen der wunderbar grauenhaften Gestalt des definitiven Interpreten von „Johnny B. Good“: Johnny Winter.
Dafür kann ich aber befriedigt feststellen, daß „Mr. Tambourine Man“ von den Byrds immerhin bereits als Klassiker registriert ist, und will gerade zu einer kleinen Ansprache über Dylans Bedeutung als Komponist ausholen, da kommt, bei „Knockin' on heaven's door“, ein Wiedererkennungsschrei: „Das kenn' ich, das ist von Mike Krüger: Nack nack nackig an der Himmelstür.“ Mein aufklärerisches Bemühen findet schlagartig eine Ende: Daß dieser Herr dafür eigentlich erschossen gehört – solche Unterweisungen gehen ja dann doch zu weit.
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