Tango-Melancholie

■ Mit Luis di Matteo nachts in der Schauburg / Prima Inszenierung

Melancholisch und einsam wirkte er: alleine auf dem Stuhl sitzend, mit seinem Bandoneon auf den Knien, im Scheinwerferlicht vor dem roten Vorhang. Auch den enthusiastische Beifall im vollgestopften kleinen Saal der Schauburg nahm Luis di Matteo wehmütig lächelnd entgegen und mit den unermüdlichen Armbewegungen, die nötig sind, um dem Knopfakkordeon Töne zu entlocken, schien er die Musik nicht zu spielen, sondern sich an ihr abzuarbeiten.

Ein Regisseur hätte den Auftritt nicht besser inszenieren können: genauso wie er auf der Bühne wirkte, spielte di Matteo auch seine Tangos: introvertiert, etwas karg und mit einer zurückgenommenen, kühlen Melancholie. Unter den drei großen Solisten auf dem Bandoneon ist er — anders als der elegante Mosalini oder der barocke Astor Piazzolla — der leise, der meditative Kammermusiker. Bei ihm verschwindet das Pathos des Tango fast vollständig in der kunstvollen Abstraktion. Da wippte kaum noch ein Bein mit — Tanzmusik ist dieser Tango schon lange nicht mehr.

Stattdessen lotete Matteo bei jedem Stück wieder die rhythmischen und harmonischen Möglichkeiten der zuerst ganz einfach erscheinenden Themen aus. Manchmal baute er mit den Mitteln der minimalistischen Musik Spannungen auf, und seine Hände führten beide Stimmen des Instruments mit-und gegeneinander in die klassischen Gefilde des Kontrapunkts. In gut anderthalb Stunden gelang es di Matteo die immer gleichen Grundstrukturen des Tango kaleidoskopisch in überraschenden Mustern und Variationen zu bearbeiten.

Willy Taub