Sanssouci: Vorschlag
■ „Die Schmerzen der Lausitz“ im Checkpoint
Manchmal, wenn der Abspann noch läuft, tauchen schon ein paar Kinobesucher laut schwatzend aus dem Dunkel auf, werfen sich ein „Oh“ und „Ah“ um die Ohren, teilen, kaum auf dem Trottoir angelangt, kluge filmtheoretische Anmerkungen aus. Zarte Gemüter sind dann und wann zu Tränen gerührt. Manchmal jedoch versagen die Worte wie die Tränen ihren Dienst. Die Floskeln kollern partout nicht aus dem Munde: das Herz ist einem schwer.
Peter Rochas 1990 entstandener Dokumentarfilm „Die Schmerzen der Lausitz“ gehört zu den Filmen, nach denen man ein schweres Herz bekommt. Irrwitzig und gespenstisch tauchen Aufnahmen einer Landschaft auf, die unbewohnbar geworden ist. Ausgemergelt und abgebaut, ausgehoben und zermalmt, ein vollständiger Kahlschlag der Natur: was aussieht wie der Mond, ist die Lausitz zwischen Cottbus und Klitten, wo der Braunkohletagebau die menschliche Lebenssphäre seit Jahrzehnten ins Nichts abgefahren hat. Sorben und Deutsche verloren ihre Dörfer an überdimensionale Bagger, die sich unaufhörlich gefräßig in die Erde beißen. Ein Ort für Vergessene.
Rochas Film, der nach „Hochwaldmärchen“ und „Leben am Fließ“ den dritten Teil seines Zyklus über die Lausitz bildet, beginnt schon im Oktober 1989, die DDR taumelt gerade ihrem Untergang entgegen, und endet im Frühjahr 1990. Die Bilder des Kameramannes Karl Faber, unterlegt mit dumpfen, sirrenden Musikgeräuschen und Reflexionen der untröstlichen Bewohner, dokumentieren eindringlich das Ausmaß landschaftlicher Verwüstung. Leere, kein Floh könnte da leben, ein weites Wunderland der Ödnis, Einöde über den Horizont hinaus.
Wo Häuser und Kirchen standen, qualmen unaufhörlich Schornsteine, alles ist schneeweiß, ohne daß Winter wäre. Kein Strauch, kein Baum schützt vor dem sandigen Wind. Später, im Jahr 2020, wird ein einziges Plateau von Abraumseen sich über die Kohlenkrater legen, „200 Kilometer Ufer entstehen“, rechnet der Landschaftsarchitekt Otto Rindt kartographisch vor. Für den Schriftsteller Jurij Koch kommt das Verschwinden sorbischer Dorfgemeinschaften einem „partiellen Ethnozid“ gleich.
Die Menschen vereinsamen in gigantischen Trabantenstädten, die den Vorwand liefern für die Aufrechterhaltung einer maßlosen Energiepolitik. Die Fragen nach Möglichkeiten, die Zerstörungswut dort und anderswo aufzuhalten, bleiben unbeantwortet. „Kapitalismus der Gründerzeit“ nennt Gerhard Gundermann, Baggerfahrer und DDR-Liedermacher, lakonisch das Szenario.
Das kleine Checkpoint-Kino an der Leipziger Straße zeigt Rochas sechzigminütigen Film im neuen, knapp 50 Plätze fassenden Raum nur eine Woche lang. Viel zu kurz. Yvonne Rehhahn
„Die Schmerzen der Lausitz“ von Peter Rocha, Checkpoint- Kino, Leipziger Straße 55, am 25.10. im Anschluß an den Film ein Konzert mit Gerhard Gundermann.
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