Asiatische Trümpfe gegen den Westen

■ Seit 1991 ist das Interesse japanischer Unternehmer an China wiedererwacht, nicht zuletzt als Billiglohnland

Längst ist Japan gegenüber den chinesischen Nachbarn aus dem Schatten der alten Siegermacht getreten. Spätestens seit den blutigen Ereignissen auf dem Tiananmen in Peking im Juni 1989 hat sich die Regierung in Tokio als zuverlässiger Anwalt chinesischer Interessen gegenüber dem Westen hervorgetan. Wie selbstverständlich ignorierte der japanische Premierminister noch im vergangenen Jahr das von der G-7-Gruppe proklamierte Verbot für Gipfeltreffen mit den Chinesen. Was aber hat die beiden Riesen Asiens einander nähergebracht?

Die Pekinger Kommunisten waren es, die das ideologische Glacis zum alten Kriegsgegner zuerst brachen. Für China gingen der wirtschaftliche Reformkurs und die Öffnung gegenüber Japan von Beginn an nahtlos ineinander über. Kein Wunder also, daß noch 1978, in dem Jahr, als Deng Xiaoping seine „Politik der offenen Tür“ verkündete, Japan und China einen Friedensvertrag unterzeichneten. Der Vertrag regelte die Frage der Kriegsentschädigung, indem Japan lediglich sein „Bedauern“ über die Kriegsereignisse äußerte. Fortan durften japanische Unternehmen in China investieren. Noch in den siebziger Jahren war in Japan von einem „China-Fieber“ die Rede. Angst und Bewunderung vor der wiederentdeckten Größe Chinas vermischten sich zu einer Stimmung, die den japanischen Unternehmern gebot, den Anschluß ans Festland nicht zu verlieren. So kam es Anfang der achtziger Jahre zu einem ersten japanischen Investitionsschub in China, dem schnell eine Desillusionierung über die wirtschaftlichen Möglichkeiten folgte.

Peking aber ließ nicht locker. In einer sensationellen Ansprache vor dem X. Parteitag der chinesischen Kommunisten im Herbst 1982 räumte der damalige Parteichef Hu Xaobang dem chinesisch- japanischen Verhältnis den höchsten Stellenwert unter den Auslandsbeziehungen Chinas ein. In dieser Auffassung wurde Hu bis heute nicht widersprochen. Tokio zögerte erneut und nahm Peking erst Ende der achtziger Jahre beim Wort, als klar wurde, wie tiefgreifend sich das Ende des Kalten Krieges auch auf das Machtgefüge in Asien auswirken würde. Mit dem Rückzug der Amerikaner aus der Region wurde ein gutes Verhältnis zu China für die japanischen Diplomaten plötzlich zur Notwendigkeit — nirgendwo ist dies deutlicher zu sehen als in Kambodscha, wo Chinesen und Japaner heute Seite an Seite die Friedensmission der UNO leiten.

So war es politisch nur günstig, als Anfang der neunziger Jahre auch das Interesse der japanischen Unternehmen für China wiedererwachte. Die nämlich hatten in den achtziger Jahren in Südostasien ausprobiert, wie sich im Ausland mit billigen Arbeitskräften kostengünstiger produzieren läßt. Doch im Preiskampf mit Ländern wie Taiwan und Südkorea schnitten zahlreiche japanische Unternehmen in den letzten Jahren immer schlechter ab. Ihnen blieb schließlich nur noch ein Ausweg: China.

Seit 1991 kann man wieder von einem japanischen Investitionsboom in China sprechen. 1991 beliefen sich die japanischen Direktinvestitionen in China auf 1,2 Milliarden Mark, fast das Doppelte der Vorjahreszahl. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurde wiederum mehr als im ganzen Jahr 1991 investiert: 1,3 Milliarden Mark. Diese Zahlen gehen einher mit den neuen Wachstumsrekorden der chinesischen Volkswirtschaft, deren Bruttosozialprodukt in diesem Jahr bisher mit einer Jahresrate von 14 Prozent nach oben schnellt. Schon glauben die Japaner wieder an ein chinesisches Wunder.

Trotzdem liegen noch viele Steine auf dem gemeinsamen Weg der beiden Großmächte Asiens. Denn was passiert, wenn nun der Menschenrechtsverfechter und China-Kritiker Bill Clinton ins Weiße Haus einzieht? Geschickt haben nach Ende des Kalten Krieges die Japaner die chinesische Karte bzw. die Chinesen die japanische Karte ausgespielt. Der neue US-Präsident aber könnte das asiatische Spiel wesentlich komplizieren und eine schwer belastete Dreierbeziehung Tokio-Peking- Washington schaffen.

Auch liegt die Haltung des chinesischen Volkes zum Freundschaftspakt mit dem historischen Erbfeind weiterhin im dunkeln. „Tiananmen hat gezeigt, daß man mit dem unabhängigen Willensausdruck des chinesischen Volkes rechnen muß“, meint der japanische China-Experte Chihiro Kato. „Doch genau das tun beide Regierungen nicht.“ Georg Blume