Kinderlos durch Umweltgifte

■ In den fünfziger Jahren blieb noch jedes zwölfte Ehepaar ungewollt kinderlos heute ist es jedes sechste / Umweltgifte spielen eine entscheidende Rolle

Kinderlos durch Umweltgifte In den fünfziger Jahren blieb noch jedes zwölfte Ehepaar ungewollt kinderlos — heute ist es jedes sechste / Umweltgifte spielen eine entscheidende Rolle

In der Ambulanz der Heidelberger Frauenklinik herrscht reger Betrieb. Auf den Wartestühlen vor den Behandlungszimmern sitzen nicht nur Frauen, die zur Routineuntersuchung kommen, oder Schwangere, die den Geburtsvorbereitungskurs besuchen. Dort warten jede Woche auch ungefähr hundert Paare, die ein Kind möchten, aber keines bekommen.

Ungewollt bleiben heute rund drei Millionen deutsche Paare kinderlos. Die tatsächliche Zahl liegt aber höher. In den Daten sind die Paare noch gar nicht berücksichtigt, die ohne Trauschein zusammenleben.

„Die Ursachen der Unfruchtbarkeit liegen zu je 40 Prozent bei der Frau und beim Mann“, so Professor Ingrid Gerhard, Gynäkologin an der Heidelberger Frauenklinik. Bei rund 20 Prozent der Fälle haben beide Partner gesundheitliche Störungen.

Zu den klassischen Ursachen zählen organische Defekte wie verklebte Ei- oder Samenleiter. Um diese bei Frauen und Männern zu beheben, müssen sie operative Eingriffe über sich ergehen lassen. Auch Hormone werden verordnet, etwa um die Funktion der Keimdrüsen wieder anzukurbeln.

Doch auch wenn organisch alles in Ordnung ist, werden viele Frauen nicht schwanger. Beruflicher Streß, psychische Belastung, Medikamente, Alkohol und Zigaretten, sogar Lärm und Hitze können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.

Vor rund zehn Jahren haben die Mediziner angefangen, die Wirkung

1von Umweltgiften wie Schwermetalle, Pestizide oder organische Lösemittel genauer zu untersuchen. Der Gießener Experte für Männerheilkunde, Professor Wolf-Bernhard Schill, betont, daß heute „mehr als 100 chemische Verbindungen bekannt“ sind, die bei männlichen Labortieren das Fortpflanzungsverhalten „erheblich beeinträchtigen“.

Professor Ingrid Gerhard weist darauf hin, daß durch Umweltschadstoffe die Fruchtbarkeit der Frau „auf sämtlichen Ebenen“ der Fortpflanzung beeinflußt wird. Sie schätzt, daß heute „25 Prozent al-

1ler unfruchtbaren Paare durch Umweltschadstoffe kinderlos bleiben“.

Als einzige Gynäkologin in Deutschland behandelt Professor Ingrid Gerhard unfruchtbare Frauen gezielt auf giftige Chemikalien. Sie versucht, die „Giftquellen im Körper auszuschalten“. Mit dem Präparat DMPS beispielsweise können Blei, Cadmium und vor allem Quecksilber teilweise über den Urin ausgeschwemmt werden. Sind die Frauen mit Holzschutz- oder Lösemitteln belastet, setzt die Gynäkologin auf ergänzende alternative Heilmethoden wie Ohr-Akkupunktur.

1Immer lauter wird unter Medizinern die Forderung, der schädlichen Wirkung von Umweltgiften auf die Fortpflanzung vorzubeugen — vor allem am Arbeitsplatz. Doch die MAK-Kommission, zuständig für die Festlegung von Grenzwerten für Schadstoffbelastungen in Betrieben, sieht keinen Handlungsbedarf. Ihr Vorsitzender, Professor Helmut Greim, sagt: „Nur weil bestimmte Schadstoffe in der Samen- und Follikelflüssigkeit vorkommen, machen diese Substanzen noch lange nicht unfruchtbar. Erst wenn Beweise vorliegen, können wir etwas tun.“ Martina Arnold