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Vier Stunden Gewerkschaftsoffenbarung

■ Öffentliche Debatte in Angestelltenkammer-Versammlung über fehlende Finanzkontrolle / Offene Fragen

In einer hitzigen Diskussion stritten die Vertreter der Fraktionen DGB und DAG am Mittwoch abend in einer außerordentlichen Vollversammlung der Angestelltenkammer Bremen. Vertreter der Angestellten-Gewerkschaft (DAG) hatten den von den DGB-Gewerkschaften besetzten Kammer- Vorstand und seinen Präsidenten aufgefordert, „alle Karten offen auf den Tisch zu legen“.

Ende August hatte die DAG der Kammer vorgeworfen, den Etat 1991 um 3,8 Millionen Mark satzungswidrig überschritten zu haben. Zudem war ein Entwurf zur Änderung des Kammergesetzes und der Wahlordnung ohne Kenntnis des Rechtsausschusses in der Vollversammlung verabschiedet worden. Die erstmals öffentliche Kammer- „Vollversammlung“ im Gemeindesaal der Martin-Luther- Gemeinde, zu der ca. 100 interessierte Gewerkschaftsmitglieder gekommen waren, gipfelte eine halbe Stunde vor Mitternacht in einem Mißtrauensantrag der DAG gegen den Präsidenten und den Vorstand der Kammer. Die 14 DGB-VertreterInnen wiesen den Antrag zurück, die DAG hat seit den letzten Kammer-Wahlen nur 10 Stimmen in dem Angestellten-Parlament.

Gleich zu Beginn der Versammlung kam es zu einem Eklat, als der DGB mit seiner Mehrheit beschloß, den Abteilungsleiter Graubner, der aus Protest seinen Leitungs-Posten niederlegen will, nicht zu Wort kommen zu lassen. Graubner wollte zu internen Vorgängen in der Kammer öffentlich Stellung nehmen. „Ihr bürstet das hier mit Eurer Mehrheit ab. So blöd kann man doch nicht sein“, schimpfte DAG-Sekretär Hartmut Frensel.

Die DAG saß auf ihrem Packen von offenen Fragen, über den sie vom Vorstand und dem Präsident Rechenschaft forderte. „Wie geht es weiter mit der finanziellen Situation?“, wollte Nikolaus Kaiser wissen. Ein „Desaster“ nannte er die Vorgänge um die 3,8 Millionen Etatüberziehung im vergangen Jahr: „Es kann doch nicht sein, daß Vorstand Geld ausgibt wie er will und sich dann selbst entlastet“.

Kammer-Präsident Baumeister wiederholte mehrfach, dies sei kein Punkt der Tagesordnung. Der Vorstand habe sich lediglich auf die Finanzsituation der Sozialakademie und ihr 1,3-Millionen-Loch vorbereitet. „Wir lassen uns nicht unter Druck setzen, holterdiepolter Zahlenmaterial vorzulegen“. Die DAG-Fraktion ließ sich damit nicht abspeisen. Sie hatte zudem den Verdacht, so Kaiser, daß der Vorstand der Angestelltenkammer und ihr Tochterunternehmen BBI bei der Gründung eines Privatunternehmens, der „Beratung und Bildung interregional (BBI-Transfer)“ nicht nur finanzielle Hilfestellung geboten habe, sondern auch eigenen Personal beurlaubt habe und damit das Know-how der Konkurrenz überlasse. „Den Dreck an Aufträgen bekommt die Sozialakademie, lukrative Aufträge gehen an die BBI- Transfer“, sagte Harmut Frensel. Mit Hilfe der Angestelltenkammer würden Leute zu Millionären gemacht.

Präsident Baumeister räumte ein, daß es Liquiditätshilfe für die BBI Transfer gegeben habe. Aber: „BBI-Transfer arbeitet auf eigene Rechnung“. Näher will sich Baumeister erst auf der nächsten Vollversammlung äußern.

Die DAG hatte auch gefordert, daß ein Finanzausschuß der „Vollversammlung“ den Kammer-Haushalt permanent überprüft. Die DGB-Mehrheit lehnte dies ab. Baumeister: „Einen Finanzausschuß halten wir nicht für erforderlich.“ Auch die DAG-Anträge, prinzipiell bei den Vertreter-Vollversammlungen die Öffentlichkeit zuzulassen und so eine Information der Bremer Angestellten über das Geschehen in ihrer Kammer zu ermöglichen, lehnte die Kammer-Mehrheit mit ihren 14 DGB-Stimmen ab. Marion Wiegand

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