: „Eine Übung in Volksdemokratie“
■ Auf die Eliten ist im Nordirland-Konflikt nicht zu hoffen, meint Andy Pollak/ Seine „Initiative 92“ will deshalb die gespaltene Gesellschaft zur Debatte zwingen
taz: Sie haben sich ein Jahr von der Irish Times beurlauben lassen, um die „Initiative 92“ zu leiten. Was hoffen Sie, in dieser äußerst kurzen Zeit erreichen zu können?
Andy Pollak: Die Initiative besteht aus vier Phasen. Bis Mitte November sammeln wir Eingaben von allen, die Ideen haben, wie die Dinge verbessert werden können. Danach wird eine internationale Kommission unter Leitung des norwegischen Rechtsanwalts Torkel Opsahl die Eingaben auswerten. Das gesamte Material soll in der Folge über Büchereien und Universitäten allen Menschen zugänglich gemacht werden. Wir wollen dadurch eine Debatte in Gang setzen, die es in Nordirland schon lange nicht mehr gibt. Das wäre dann die vierte Phase. Unser einziges Ziel ist es, die Zivilbevölkerung, die Randgruppen und Organisationen in die Debatte miteinzubeziehen.
Wo nehmen Sie den Optimismus her, die gespaltene Gesellschaft zur Diskussion bewegen zu können, wenn linke wie rechte Politiker darin bisher doch offenbar versagt haben?
Es gibt in Nordirland keine linke Politik, ja nicht einmal Labour-Politik. Die „Initiative 92“ wurde zwar von Linken ins Leben gerufen, die in keine der nordirischen Schubladen paßten — also weder Unionisten oder Loyalisten noch Republikaner oder Nationalisten sind —, aber sie zielt auf alle politischen Strömungen ab. Viele der Linken mit den meisten Ideen und der größten Energie haben sich in die Stadtteilarbeit und in Freiwilligenprojekte zurückgezogen. Wir machen nun eine Übung in Volksdemokratie, an der alle teilnehmen können — alle, außer Berufspolitiker.
Wie verhält sich die „Initiative 92“ zu Bombenanschlägen, zur Situation politischer Gefangener, zu Haftbedingungen, zu politisch motivierten Fehlurteilen?
Wir nehmen zu überhaupt keinen politischen Ereignissen oder Bedingungen Stellung, weil wir sonst mit der einen oder anderen Seite identifiziert würden. Wenn bestimmte Organisationen oder Einzelpersonen meinen, daß das nordirische Rechtssystem ungerecht und überholungsbedürftig ist, können sie dazu eine Eingabe machen. Uns geht es aber auch um andere Bereiche, die bisher von der politischen Situation überschattet und daher kaum diskutiert werden: Arbeitslosigkeit, Armut, Kultur, die irische Sprache.
Aber hat nicht der Konflikt in den vergangenen 23 Jahren gezeigt, daß das nordirische Staatengebilde unreformierbar ist und daß es in diesem Rahmen keine Lösung geben kann?
Die Situation ist heute noch genauso blockiert wie zu Beginn des bewaffneten Konflikts. Aber es müssen Strukturen und Ideen entwickelt werden, um die zutiefst gespaltene Gesellschaft funktionaler und kooperativer zu machen. Wie diese Strukturen aussehen mögen, darüber muß diskutiert werden. Es ist ja so, daß die Männer in den katholischen Ghettos gar keine Protestanten kennen — und umgekehrt. Bei Frauen und auch bei Gefangenen ist das anders. Von ihnen erhoffen wir uns die besten Ideen und Vorschläge, wie die Stereotypen abgebaut werden können.
Führt die „Initiative 92“ geheime Gespräche mit paramilitärischen Organisationen?
Nein, das ist nicht unsere Aufgabe. Wenn uns die Leute für eine Friedensgruppe halten, sind wir erledigt. Das heißt natürlich nicht, daß sich die paramilitärischen Organisationen nicht am Diskussionsprozeß beteiligen sollen — im Gegenteil: Wir hoffen auf ihre Eingaben. Innerhalb der IRA und ihres politischen Flügels, Sinn Féin, findet bereits eine intensive Debatte statt, die vielleicht in unserer Arbeit reflektiert werden kann. Aber Absprachen zwischen Eliten hinter verschlossenen Türen können nicht funktionieren. Man muß sich doch bloß die Mehrparteiengespräche über Nordirland ansehen, die zur Zeit stattfinden. Niemand weiß genau, was dort vor sich geht — deshalb sind sie auch zum Scheitern verurteilt. Vielleicht kommt bei unserer Arbeit ja auch nichts heraus. Niemand hat eine Patentlösung. Aber so wie bisher können wir nicht weitermachen. Interview: Ralf Sotscheck
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