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■ Gastkommentar zum Fall einer hirntoten Frau, deren Ungeborenes zum Leben gebracht werden sollMenschenwürde, ein Totschlage-Wort

Zunächst einmal: Es geht hier nicht um ein „medizinisches Experiment“, wie von einigen behauptet wird, sondern es geht um den Versuch, ein ungeborenes Leben zu erhalten, sowie auch bei geborenem Leben, bei einem verunglückten etwa, nicht experimentiert wird, sondern versucht wird, den Verunglückten zu retten. Nicht ärztliche Experimentiermanie hat das Kind ins Dasein gerufen, sondern der Wille der Mutter.

Neben dem Wort „Experiment“ wird ein anderes Wort ins Feld geführt, das bei fehlenden Argumenten sich gern in den Raum schiebt: Das Wort „Menschenwürde“. Der Fall zeige, „wie wenig die Menschenwürde einer toten Frau wert ist, wenn ihr Körper zwecks Austragung einer Schwangerschaft gebraucht wird“, zitiert die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, vom 17.Oktober das „übereinstimmende“ Urteil von SPD- FDP-, CDU/CSU-Politikerinnen und titelt auf der Titelseite: Die Politikerinnen „sind zutiefst erschrocken“.

Bei dem Begriff „Menschenwürde“ ist stets Mißtrauen angebracht, denn dieses Wort ist fast regelmäßig ein Totschlage-Wort. Es wird mit ihm weniger argumentiert als verdammt. Es erhebt sich doch die Frage, wieso es denn würdiger ist, eine gehirntote Frau auszuschlachten und ihre Organe fremden Menschen einzupflanzen, als sie dem eigenen Kind der Toten zur Verfügung zu stellen. Warum darf man nicht auch dem von der Mutter gewünschten Kind die Lebenschance lassen, die der Leib der Mutter ihm noch offenläßt, um erst danach die anderen mit den Organen der Toten auszustatten?

Als drittes im Bunde wird das Wort „Menschenrechte“ benutzt, um der eigenen Meinung Gewicht zu verleihen. Der Theologe Hagenmaier fragt im Spiegel: „Hat diese junge Frau denn nicht vielleicht auch ein Recht auf ihren Tod?“ Abgesehen davon, daß bei einer 18jährigen Verkehrstoten auf deren „Recht auf Tod“ zu pochen makaber erscheint, braucht sich in diesem Fall kein Pfarrer mehr für dieses Recht einzusetzen, wenn der Tod ja nach allgemeiner ärztlicher Meinung bereits eingetreten ist. Sie hat mit 18 Jahren ihr vom Hamburger Pfarrer gefordertes Recht auf Tod bereits erhalten und hätte doch gewiß gern darauf verzichtet. Die Schwierigkeit des Problems liegt darin, daß wir genaugenommen nicht wissen, was Leben ist, und nicht, was Tod ist. Wir wissen nicht, wann menschliches Leben beginnt. Und wir wissen nicht, wann menschliches Leben endet.

Aber der Mensch und die Wissenschaft wollen Gewißheit. Darum hat man angesichts der Unbestimmtheit des Todes eine künstliche Gewißheit fixiert und sich entschieden, den Tod mit „Gehirntod“ gleichzusetzen. Das ist praktisch vor allem hinsichtlich der Transplantationsmedizin und erspart ethische Skrupel bei der Frage, ob man einen möglicherweise noch Lebenden ausweidet. Aber schon dieser Begriff „Gehirntod“ zeigt, daß es sich nicht unbedingt um einen allseitig biologischen Tod handelt. Und so kann eine Frau, wie der Erlanger Fall zeigt, trotz erloschener Gehirnfunktionen soweit organisch lebendig sein — wenn auch nur mit Hilfe medizinischer Apparaturen —, daß ihr Körper das Wachstum ihres Kindes möglich macht.

Um in der schwierigen Frage eine Antwort zu finden, sollte man den Willen der Mutter beachten, die dieses ihr Kind entschieden gewollt hat. Es wird sozusagen eine Art letzter Wille der jungen Frau erfüllt, wenn man ihrem Kind zum Leben verhilft. Auch der Wille der Großeltern, das Kind aufzuziehen, sollte nicht einfach weggewischt werden. Dieser Wille von Mutter und Großeltern sollte entscheidender sein als die Befürchtung Außenstehender um die Verletzung der Menschenrechte und Menschenwürde und ihre Besorgnis, die Tote werde zu einem Experiment mißbraucht.

Der Tod der eigenen Mutter ist ein Unglück, an dem mancher Mensch schwer trägt. Aber der Mensch ist schon am Beginn seines Daseins nicht nur von seiner Mutter, sondern auch vom Tod umfangen. Er kann diesem Schicksal nicht entrinnen. Und man kann dem Menschen das Bewußtsein des Todes der eigenen Mutter nicht dadurch ersparen, daß man ihm sein eigenes Leben erspart und ihn noch vor Erlangung des Bewußtseins vorsorglich ins Grab legt. Uta Ranke-Heinemann

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