: Migrantenpolitik auch anderswo ein Wunschtraum
■ Trotz restriktiven Einwanderungsrechts ist Minderheitenpolitik in England eine wichtige kommunale Aufgabe, in Frankreich herrscht Fremdenangst und Rassismus
„Das in Großbritannien seit 1976 in erweiterter Form existierende Anti-Rassismus-Gesetz hat sich auf die schlechte reale Lebenssituation der ethnischen Minderheiten nicht ausgewirkt.“ Die Sozialwissenschaftlerin Sigrit Barringhaus warnte deshalb gestern auf einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung und des Frankfurter Multi-Kulti-Amtes zum Thema „Migration und Politik“ im Wiesbadener Landtag vor überzogenen Erwartungen: ein Anti-Diskriminierungsgesetz alleine verenge die „Gesamtproblematik Migrationspolitik“ auf eine individuelle Auseinandersetzung, „doch die rassistischen Verhältnisse bestehen fort“.
Ursächlich verantwortlich für die verbreitete Nichtakzeptanz ethnischer Minderheiten vor allem in England sei die offenkundige Diskrepanz zwischen dem Anti- Diskriminierungsgesetz und der restriktiven Einwanderungspolitik des Landes. Die signalisiere der weißen britischen Bevölkerung mit einer rigiden Kontingentierung, daß vor allem Menschen aus der Dritten Welt auf der Insel nichts zu suchen hätten. Auch deshalb sei es bereits Ende der 70er Jahre zu brutalen „Rassenkrawallen“ gekommen. Neben dem Aufstieg der Nationalen Front in England hätten diese gewalttätigen Auseinandersetzungen aber auch eine „erfreuliche Folge“, so Barringhaus: „Minderheitenpolitik wird seit Anfang der 80er Jahre als wichtiges kommunales Aufgabenfeld akzeptiert.“
Und da sind die Briten inzwischen offenbar weit fortschrittlicher als etwa die Deutschen. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die von der Ausstellung mehrsprachiger Hinweisschilder in den Verwaltungen über eine personelle Gleichstellung und Gleichbehandlung in den Ämtern bis hin zur Einbeziehung der Minoritätenpresse bei Stellenausschreibungen reichen, sorgt inzwischen dafür, daß Weiße und Angehörige ethnischer Minderheiten auf allen Ebenen des kommunalen Lebens gleichberechtigt sind und gleichberechtigt behandelt werden.
„Frankreich ist ein durch und durch ausländerfeindliches Land“, auch wenn die Ausländerfeinde nicht mit solcher Brutalität wie in Deutschland vorgehen würden. Der Hamburger Soziologe und „Frankreichspezialist“ Uli Bielefeld vertrat die These, daß sich der französische Staat so gut wie nicht um die etwa sieben Millionen Migranten kümmere, weil es sie — nach der französischen Staatslehre — als wahrnehmbare Gruppe eigentlich gar nicht geben dürfte, sowenig, wie es ein korsisches Volk geben dürfte, „weil es nur ein französisches Volk gibt“. Das sogenannte Bodenrecht gesteht jedem in Frankreich geborenen Ausländer die Staatsbürgerschaft zu. Und auch die Naturalisierung von Erwachsenen werde problemlos vollzogen. Und dennoch seien in Frankreich „Xenophobie und Rassismus“ weit verbreitet. „In Frankreich vollzog sich die Erneuerung der Rechten zuerst.“ Bielefeld machte den Mangel an staatlicher Fürsorge für die Einwanderer, ihre fehlende Integration in das Sozialsystem für die ausländerfeindliche Haltung weiter Teile der Franzosen, die sich für „richtige Franzosen“ hielten, verantwortlich. Sein Fazit: Während in Deutschland die AusländerInnen in das Sozialsystem integriert seien, aber nicht in das politisch-rechtliche System, sei es in Frankreich genau umgekehrt — „mit den gleichen bösen Folgen“.
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