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„Anständig schwuler Politiker“

■ Gerichtsposse um Baldur Ubbelohde dauert an/ Journalist muß sich wegen „übler Nachrede“ und „Beleidigung“ verantworten

Tiergarten. Bereits zum vierten Mal hat sich seit gestern der 25jährige Journalist Micha Schulze wegen „übler Nachrede“ und „Beleidigung“ vor dem Strafgericht zu verantworten. In einer Satire für eine Homo-Extraausgabe der AL- Zeitung Stachel hatte der Redakteur und offen schwule Kandidat im Bezirkswahlkampf 1989 den CDU-Bezirksbürgermeister Baldur Ubbelohde als „heterosexuell“ geoutet. Ubbelohde, so hieß es in dem satirischen „Rollentausch“, sei eigentlich als „anständig schwuler Politiker und Mensch“ bekannt. Ein heterosexueller Bürgermeister aber sei „für Charlottenburg nicht tragbar“.

Schulze war in zwei Instanzen freigesprochen worden. Die Revision des Beleidigten führte dazu, daß das Kammergericht das Verfahren zurück an das Landgericht verwies – zwecks Abwägung zwischen Kunstfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeit. Die Staatsanwältin beantragte gestern eine Geldstrafe in Höhe von 2.500 DM (in einem Zivilverfahren haben der Ex-AL-Politiker Schulze und die AL bereits 10.000 Mark Schmerzensgeld bezahlen müssen). Der Verteidiger Wolfgang Wieland plädierte auf Freispruch. Die Entscheidung ist für nächsten Donnerstag zu erwarten.

Der jetzt beim Neuen Deutschland beschäftigte Angeklagte verteidigte sich mit dem Argument, die Satire sollte die Doppelmoral der schwulenfeindlichen CDU und keineswegs die Persönlichkeit des Bürgermeisters treffen.

Sein Verteidiger Wieland stützte sich in seinem Plädoyer auf den Hinweis des Kammergerichts, einer Satire dürfe keine Übertreibung vorgeworfen werden. „Das Irreale, das Übertreibende sei vielmehr Wesensmerkmal der Satire“. Die Staatsanwältin ging davon aus, daß es sich um beleidigende „Tatsachenbehauptungen“ handelte.

Eine Anregung des Richters, den Prozeß mit seinen erheblichen Kosten durch Rücknahme des Strafantrags aus der Welt zu schaffen, scheiterte daran, daß weder der CDU-Politiker als Nebenkläger noch sein Rechtsanwalt erschienen waren. ADN/kotte

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