piwik no script img

Weiße Wilde aus Österreich

■ Das Huhn – als Totemtier enttarnt, 3sat, 18 Uhr

Kayonga Kagame ist ein namhafter Ethnologe aus Afrika. Seinem Forschungsdrang ist es zu verdanken, daß ein weißer Fleck auf der ethnologischen Weltkarte weitgehend beseitigt werden konnte. In der beliebten All-African-TV-Serie „N'dongo d'uggu“ – zu deutsch: „Fremde Länder, fremde Sitten“ – stellt Kagame die Ergebnisse seiner Forschungsreise ins rätselhafte Oberösterreich vor. Damit wir, das heißt die Wilden, seinem Diskurs folgen können, wurde der Film streckenweise untertitelt.

Die Erkenntnisse, die uns der Ethnologe offenbart, sind von schonungsloser Offenheit. So wird unzweifelhaft festgestellt, daß der in Oberösterreich verbreitete Brauch des Jodelns eine „Ode auf das Altern“ ist und daß wir in den dort weit verbreiteten Gartenzwergen einen Ahnenkult zu erblicken haben, bei dem es darum geht, dem ursprünglichen Aussehen der Oberösterreicher zu huldigen. Außerdem: Der Oberösterreicher neigt zur Rudelbildung, zum Musizieren und zum Gleichschritt. Ohne das exzellente Bildmaterial Kagames würden diese Enthüllungen in der afrikanischen Fachwelt zweifellos als unseriöse Spekulationen abgetan werden.

Ein Kernpunkt des Films ist die Betrachtung der Verhaltensweise der Oberösterreicher beim gemeinsamen Aufbau einer großen zeltartigen Behausung. Der wissenschaftlich gebildete Leser wird natürlich wissen, daß es sich um ein authentisches Bierzelt handelt. Der ansonsten zur Passivität neigende Bergbewohner nimmt zur Verwunderung des Ethnologen an der gemeinsamen Erstellung dieses Kultbauwerks mit „freudiger Erregung“ teil.

Zwecks Deutung dieser Kulthandlung führt Kagame den Zuschauer in steinerne Kulthäuser („Kirchen“), die – während das Bierzelt steht – vollkommen leer sind. Es folgt ein detaillierter Vergleich zweier Getränke, die während archaischer Rituale zwecks Stimulation eingenommen werden (Wein rückläufig, Bier steigend): eine mit bewundernswerter Präzision durchgeführte Analyse, die die Fachwelt sicher noch lange begeistern wird.

Mit seiner spektakulärsten Enthüllung hält der Forscher sich lange Zeit zurück. Es geht um das Huhn als Totemtier der Oberösterreicher. Die Fülle der Betrachtungen Kagames zu diesem Thema übersteigen das sprachliche Wiedergabevermögen des deutschsprachigen Berichterstatters. Mit behutsamer Ehrfurcht hat der 47jährige österreichische Schriftsteller Walter Wippersberg, Regisseur und Drehbuchprofessor an der Wiener Filmhochschule, den Film streckenweise ins Deutsche übertragen. Ein einzigartiges Dokument europäischer Dumpfheit wird somit dem ausländerfeindlichen, barbarischen Weißen zugänglich. Manfred Riepe

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen