: Ungebürstete Aufsteiger im Kommen
Der Jahrhundertsommer verdarb den Spielwarenmarkt/ Sparen beim Spielehersteller F. X. Schmid/ Ungebürsteter Berliner Spielevertrieb Fun Connection mit großem Umsatzerfolg ■ Aus Essen Peter Huth
Die Essener Spielwarenmesse begann mit einem Paukenschlag. Der Spielehersteller F. X. Schmid, mit einem Umsatz von 50 Millionen Mark einer der Großen in der Branche, zog es vor, auf Europas größter Spielwarenshow nicht vertreten zu sein. Die Firma vom Chiemsee, die mit ihren alljährlich prämierten Gesellschaftsspielen auf der Rangleiter der bundesdeutschen Hersteller mächtig nach oben geschossen war, müsse sparen, war unterderhand zu erfahren. Die Übernahme des traditionellen Spielkartenherstellers Altenburg aus Thüringen habe (zu ?) viel Geld gekostet. Man wolle sich auf das Wesentliche beschränken.
Wenig Beifall beim Publikum, aber nicht nur Unverständnis bei der Konkurrenz. Denn das ganz reale Gespenst der Rezession ging um in Essen. Die fetten Jahre sind vorbei. Eine verwöhnte Branche muß sich warm anziehen.
Im letzten Jahrzehnt hatten die Firmen ihre Risiken kalkulierbarer gemacht, das traditionell entscheidende Weihnachtsgeschäft besser aufs ganze Jahr verteilt. Der Daumen im Circus marktimus wurde nicht nur am Heiligabend bewegt. Gesellschaftsspiele sind heute mehr als nur ein Weihnachtspräsent für die Kleinen. Der Homo ludens hatte sich breitgemacht in den Wohnzimmern und in allen Altersschichten.
Selbst das Jahr 1992 hatte für die Branche noch toll angefangen. 14 Prozent mehr im Vergleich zum ersten Quartal 1991 wirkten euphorisierend. Und dann fraß die Sonne alles auf. Im ozongelöcherten Jahrhundertsommer von Ostern bis Herbst strebten die Konsumenten vom Spieltisch an die Strände, und die Branche sah ihre Felle davonschwimmen. Sechs bis sieben Prozent Zuwachs heißt es nach dem ersten Halbjahr nur noch. Und das dritte Quartal muß sogar eine Katastrophe gewesen ein. Folge: Jetzt starren die Firmen doch wieder wie früher auf Marry Christmas.
Selbst Marktführer Ravensburg, der auf den letzten Messen immer lärmend seine Erwachsenenproduktionen präsentierte, gab sich in diesem Jahr betont ruhig. Die Reihe sei etabliert, hieß es, und man will sich nun wieder mehr dem Kinder- und Familienspiel widmen. Die so streitbaren Spielkartenhaie von ASS versteckten sich regelrecht mit ihren Produkten, dabei hatte sie mit dem Regenwaldspiel eine gelungene Mischung von kooperativen und egoistischen Spielansätzen neu im Angebot.
Die kommende Rezession hat den Strukturwandel in der Branche beschleunigt. Hexagames, wegen seiner anspruchsvollen Spiele in den vergangenen Jahren oft gelobt, war bereits im Frühjahr verschwunden. Es war ihnen nicht gelungen, ihre Spiele an den Mann zu bringen. Doch kein Großer hatte sie geschluckt. Vielmehr sind ihre Produkte bei den Berliner SalaGames gelandet. Ein gelungener Coup. Hatten die Berliner in den letzten zwei Jahren selbst versucht, intelligente Spiele zu produzieren, ist ihnen nun mit einem Schlag eine attraktive Reihe von Spielen und Autoren ins Netz gegangen.
Ab 1993 kooperiert Sala außerdem mit der ebenfalls Berliner Fun Connection. Sala produziert die Spiele und Funspiele, und Fun Connection kümmert sich um den Vertrieb. Hinter Fun Connection verbergen sich zwei Berliner Spielefreaks, die sich erst 1987 mit dem Laden „das Spielbrett“ in Berlin- Kreuzberg selbständig gemacht haben. Parallel dazu bauten sie dann einen Spezialversand auf und sind mittlerweile einem wahrscheinlich blendend chaotisch kreativ organisiertem Verlag und Vertrieb angegliedert. Spiele wie Abalone, mittlerweile ein Klassiker, der gelungene Vertrieb von Drunter & Drüber von Klaus Teuber, immerhin Spiel des Jahres 1991 und weit über 400.000mal verkauft, sowie die Vermarktung von Quo Vadis, das in diesem Jahr auf der Bestenliste steht, lassen die Chefs der Firma auf einen Umsatz von 13 Millionen Mark für 1992 hoffen. Das ist immer noch wenig im Vergleich zu den 150 Millionen der Ravensburger, aber vor zwei Jahren lagen die Fun-Leute noch bei 300.000 Mark Jahresumsatz.
Das Konzept der Fun Connection, die Kreativität unterschiedlichster Spiele-Erfinder und Kleinverleger nicht einem Verlagsprofil unterzuordnen, sondern weitgehend ungeglättet mit Begeisterung auf den Markt zu bringen, ist offensichtlich noch für einige Überraschungen auf dem Spielemarkt gut.
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