■ Handfeste Rezepte aus Deutschlands ältestem Arzneibuch
: „Man esse 100 rohe Linsen“

Bamberg (dpa) – Heilkräuter erleben zur Zeit eine Renaissance, Großmutters Hausmittel und alte Rezepte sind wieder gefragt. Die Reinigungspillen gegen Magenleiden oder der Heiltrank bei einem leichteren Schlaganfall, die das „Lorscher Arzneibuch“ aus dem achten Jahrhundert empfiehlt, gehen aber über den Rezeptefundus der wiederentdeckten Volksmedizin weit hinaus. Das, wie jüngste Forschungen bestätigen, älteste Arzneibuch Deutschlands lagert in der Staatsbibliothek Bamberg und wartet mit Tränken, Pillen und Säften auf, die auf antike Vorbilder zurückgehen.

Mittel gegen räudigen Haarausfall – die Asche von Bucheckern mit Honig und Hennaöl vermischt auftragen – und eingeträufelte Ziegengalle gegen schlechtes Gehör werden dem Kranken empfohlen. Mit Honig geriebener Ziegendreck soll angeblich Mundgeschwüre heilen. Gegen Bocksgestank streicht man die Asche eines Wiesels mit Ei auf, und gegen bösartige Magengeschwüre wird geraten: „Man esse 100 rohe Linsen, das ist ein probates Mittel.“ Knapp 500 Krankheiten und Gebrechen kann man mit den Rezepturen des Arzneibuches zu Leibe rücken, und viele der über 200 verzeichneten Heilpflanzen spielen auch heute noch eine wichtige Rolle in der Medizin.

Die Handschrift aus der Benediktinerabtei Lorsch, unweit von Worms gelegen, stammt aus der Zeit Karls des Großen oder kurz davor und stützt sich auf Vorlagen der antiken Ärzte Hippokrates und Galen sowie des Allroundforschers Plinius. Sie zeigt aber auch die Vorreiterrolle, die der Medizin beim wissenschaftlichen Neuanfang des frühen Mittelalters zukam, und ist sozusagen eine Verteidigung der Heilkunde aus den Zeiten der Mönchsmedizin.

Sogar mit Kosmetik befaßten sich die Benediktinermönche. „Damit ein weißer und zarter Mund nicht faltig wird, besprenge weißes Mehl mit Milch und Öl, vor dem Zubettgehen salbe damit die Lippen.“ Krönung der Schönheitsmittelchen ist eine Wimpernschminke: „Ammoniakgummi, mit Eiweiß vermischt, läßt die Haare fest werden.“

Die medizinische Handschrift, auf 75 nicht illustrierte Pergamentblätter in karolingischer Minuskel geschrieben, zählt zu den ältesten in Mitteleuropa und hat sich gleichwohl schon mit Fragen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen beschäftigt. Teure Importe aus Arabien und vom Indus waren gar nicht gern gesehen. „Spezereihandlungen großen Stils“ könne sich nur ein Haus leisten, das „an ungeheurem Reichtum überfließt“. Das Arzneibuch plädiert statt dessen für den heimischen Kräutergarten. Bei den Behandlungskosten wurde den Ärzten eine Staffellung je nach Geldbeutel vorgeschlagen. „Ist einer reich, möchte es eine rechte Gelegenheit zum Gewinn sein, ist er arm, laß dich mit einer Winzigkeit abfinden.“

Sogar Ernährungsfragen werden erörtert. In einem im Arzneibuch zitierten Brief des griechischen Arztes Anthimus an den Frankenkönig Theuderich aus dem sechsten Jahrhundert heißt es: „In bezug auf den rohen Speck aber, den – wie ich höre – die Franken gerne essen, möchte ich gern wissen, wer ihnen ein solches Heilmittel gezeigt hat, so daß sie keine anderen brauchen.“ Für alle anderen empfiehlt sich das „Gottesgeschenk“ als Heil- und Vorbeugungsmittel gegen alle Krankheiten. Was außer Lärchenschwamm, Bärwurz und Mastix noch dazugehört, ist im „Lorscher Arzneibuch“ nachzulesen. Eine Faksimileausgabe, in der allerdings ausdrücklich vor Nachahmung gewarnt wird, ist nebst Übersetzung in der Wissenschaftlichen Verlagsanstalt Stuttgart erschienen.