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Ein Fest der gebügelten Uniformen

Zum fünfzigsten Jahrestag der Schlacht bei Al-Alamain in Nordägypten kam überwiegend uniformierte Prominenz aus Deutschland, Italien und den Staaten der Alliierten angereist  ■ Aus Al-Alamain Karim el Gawhary

Es war ein Fest der Veteranen und der ägyptischen Reiseunternehmen. Gedacht wurde der Schlacht aller Schlachten des Zweiten Weltkrieges in Nordafrika: Al-Alamain. Benannt nach einem Flecken rund hundert Kilometer westlich der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Ein halbes Jahrhundert ist es jetzt her, daß hier über dreihunderttausend Soldaten der britischen Commonwealth-Truppen ihren deutschen und italienischen Gegnern gegenüberstanden. Al-Alamain ist geblieben, was es immer war – ein Nest. Eine Bahnstation, zwei Tankstellen, eine Moschee und ein paar Häuser. Nur das neueröffnete Kriegsmuseum und ein halbes Dutzend Soldatenfriedhöfe zeugen vom Wahnsinn vergangener Zeiten.

Am Tag vor der großen Feier quirlt es vor Geschäftigkeit. Überall wird letzte Hand angelegt, gefegt, geschrubbt und angestrichen. Ein Polizist regelt den für Al-Alamain ungewöhnlichen Verkehr. Er ist extra für die Festlichkeiten aus Kairo geschickt worden. Ein Stückchen weiter unten, auf der Umgehungsstraße, versuchen einige ägyptische Soldaten geduldig mit einem Kran einen der sandfarbenen Panzer von damals auf ein Podest zu heben. Die Beduinen verkaufen Sport-Cola an die angereisten Veteranen und Journalisten. Merkwürdig seien sie schon, die ganzen alten Leute, die angereist sind, aber gut für das Geschäft, meint einer.

Auch die ankommenden Veteranen und ihre jüngeren Soldatenkollegen stürzen sich sofort in die Vorbereitungen. Ein schottischer Dudelsackpfeifer mit Schottenrock hat Generalprobe vor dem Ehrenmal der Commonwelth- Truppen. Seine Einheit sei es gewesen, die in den ersten Nächten die Minenfelder der Deutschen räumen mußte, erklärt ein britischer Journalist sichtlich bewegt. Beim deutschen Ehrenmal weist ein Offizier eine Truppe junger Bundeswehrsoldaten aus dem bayerischen Passau an: „Und nicht vergessen, daß die Fingernägel morgen sauber und gut geschnitten sein müssen.“

Am Sonntag war es dann soweit. Dieses Jahr sind die Deutschen dran, das alljährliche internationale Zeremoniell auszurichten, zum fünfzigsten Jahrestag natürlich pompöser als sonst. Eine Bundeswehrkapelle spielt Choräle, Militärpfarrer predigen, Bundesforschungsminister Riesenhuber redet, und mehrere tausend Veteranen aller damals beteiligten Nationen gedenken. Tenor: aus Feinden werden Freunde. In geschniegelten Uniformen stehen die Veteranen mit Ehefrauen und einige Witwen in ihren jeweiligen nationalen Blöcken.

Tatsächlich herrscht eher „kameradschaftliche“ Atmosphäre. Ein rüstiger deutscher Afrikakämpfer steckt einem von der Hitze leicht angeschlagenen Commonwealth-Soldaten einen in den Sand gefallenen Orden wieder ans Revers, während man sich übers Praktische unterhält. Etwa darüber, daß die neuseeländischen Soldaten „damals“ so schöne Schuhe mit Kreppsohlen trugen.

„Wir hatten große Pläne hier unten“, erzählt einer der deutschen Veteranen. „Urlaub gibt es nur, wenn ihr mit dem Zug über die östliche Mittelmeerküste nach Hause fahren könnt“, habe sein Kommandeur damals verkündet. Die Reiseroute der Frontsoldaten wäre durch das heutige Israel gegangen. Ein Witz, über den der deutsche Veteran heute noch lachen kann. Ob er nicht ein etwas merkwürdiges Gefühl gehabt habe, mitten in der Wüste mit seiner Panzerabwehrkanone eingegraben? „Wir sind durch den Italiener in Libyen hier hineingezogen worden. Denen mußte schließlich geholfen werden, als sie vom Engländer bedroht wurden.“ Der Rest sei Pflichterfüllung gewesen. Gefragt habe ihn ohnehin niemand. Am Ende, während der Kranzniederlegung, kommen vielen seiner Landsleute die Tränen. Erinnerungen an die gefallenen Freunde, an die damalige Angst ums eigene Leben oder Reflexionen über ein sinnloses Unternehmen? „Es war schlicht ergreifend“, erklärt später ein Veteran.

Nicht viel anders sah es bei der Feier der Commonwealth-Staaten aus. Militärkapellen und Pfarrer wechselten sich ab. Eine junge Frau, die laut Anstecker der „Königlich Britischen Legion“ angehört, versucht die Veteranen mit Tabletten und Wasser bei Laune zu halten.

Alt und müde sind sie geworden, die Krieger von gestern. Mohnblumen schmücken den Friedhof – eine aus dem Ersten Weltkrieg stammende britische Tradition zum Gedenken an die Gefallenen. Ein Neuseeländer erzählt, wie er gestern einen Italiener getroffen habe, der „damals gegenüber gelegen“ habe. Der zeigte ihm die Narbe von einem Kopfstreifschuß. „Da haben wir wohl zu hoch gezielt“, sagte der Neuseeländer zu ihm. Beide hätten gelacht.

„Jeder hat damals gedacht, die Deutschen kommen bis nach Kairo“, erzählt der ägyptische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfuz im ägyptischen Fernsehen. Der nordeuropäische Krieg wurde in das Nilland getragen, als Italien in den Krieg eintrat und die britische Position in Ägypten bedrohte. Als Mussolinis Truppen dann von den britischen Einheiten zurückgeschlagen wurden, schlug die Stunde des deutschen Afrika-Korps, das zur Unterstützung der Italiener nach Nordafrika geschifft wurde.

Während man in Europa um Zentimeter kämpfte, wurde der Krieg um Nordafrika in Kilometern geführt. Mobilität hieß das Gebot, und der Panzer war das Gerät der Stunde. Zweimal bewegten sich die deutschen und italienischen Achsen-Truppen unter der Führung Erwin Rommels 1.500 Kilometer weit vom libyschen Westen nach Ägypten hinein. Sein Kriegsziel lautete Kairo. Zweimal drängten ihn die Truppen des britischen Commonwealth, Engländer, Schotten, Australier, Neuseeländer und Truppen des Freien Frankreichs und Griechenlands wieder zurück. Auf dieser Strecke gab es nur wenige Positionen, die auch militärisch gehalten werden konnten. Eine davon, die letzte vor dem Niltal, war Al-Alamain. Weiter südlich, in der Wüste, hatten die Commonwelth-Truppen ihre letzte Verteidigungsstellung ausgebaut.

Begonnen hatte die Schlacht am 23. Oktober 1942 mit einem Sperrfeuer. In weniger als sechs Stunden fielen 125 Tonnen Granaten aus tausend Kanonen auf die deutschen und italienischen Stellungen. Während Rommels Gegner ihren Nachschub aus dem nur wenige Kilometer entfernten Alexandria heranschafften, kam der Nachschub der Achsenmächte aus dem fünfhundert Kilometer entfernten libyschen Hafen Tobruk fast gänzlich zum Stillstand. Die Alliierten hatten den deutschen Geheimcode geknackt und konnten so fast alle deutschen Befehle unchiffriert empfangen. Danach war es ein leichtes, die deutschen Nachschubschiffe im Mittelmeer zu versenken. Trotzdem dauerte die Schlacht dreizehn Tage. Am Ende bat Rommel, seinen Truppen den Rückzug zu gewähren. „Es wäre nicht das erste Mal, daß ein starker Wille über die stärkeren Bataillone des Feindes siegt“, war die Antwort aus Berlin. So ging das Gemetzel weiter, bis Rommel schließlich doch den Rückzug befahl und Hitler dem zustimmte. 21.000 Soldaten waren bis zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten im Sand von Al-Alamain verblutet.

Die Einheiten der todbringenden Kriegsmaschine wurden liebevoll „weiße Nashörner“, „Wüstenratten“ oder „fliegende Falken“ genannt. Witzig sollte es wirken, als Rommel Fotos von bratenden Spiegeleiern auf den Hauben des Panzers nach Berlin schickte. Kaum verständlich auch die oft zitierte Beschreibung dieser Schlacht als „Krieg ohne Haß“. „Soweit möglich im Krieg, wurde der Wüstenkrieg in einer Atmosphäre von Ritterlichkeit geführt. Der gemeinsame Kampf gegen die Wüste schuf eine kameradschaftliche Verbindung zwischen den Feinden“, heißt es auf einem der Schilder im Museum von Al-Alamain. Die „kameradschaftliche Verbindung“ kostete Tausenden das Leben.

In seinem 1978 gedrehten Film „Alexandria, warum?“ zeichnete der ägyptische Filmemacher Yussuf Shahin ein Bild von der Spannung, die während dieser Zeit in Alexandria herrschte. Der Donner der Kanonen von Al-Alamain war bis dorthin zu hören. Für die ÄgypterInnen kam der Zweite Weltkrieg in einer Zeit, in der sie sich fest in britischer Hand glaubten. Der Vormarsch Rommels und die deutsche und italienische Propaganda brachten dieses Bild vor allem bei der damals jungen ägyptischen Generation ins Wanken. Einige ägyptische Offiziere wurden verdächtigt, enge Kontakte zu den Achsenmächten zu pflegen. Im Land herrschte Ausnahmezustand. Lebensmittel wurden kanpp. Im Winter 1942 stürmten die Menschen in den Armenvierteln Kairos die Bäckereien. Es kam zu antibritischen Demonstrationen: „Vorwärts, Rommel“, war einer der Slogans. Obwohl die Alliierten schließlich siegreich aus dem Nordafrika-Feldzug heimzogen, war ihre Macht doch ins Wanken geraten. Die Angst vor erneuter Besetzung, die Hoffnung auf Befreiung, das Spektakel des sich selbst zerfleischenden Europas und das Erstarken der Sowjetunion – dies alles deutete für die ÄgypterInnen darauf hin, daß nichts mehr so sein würde wie zuvor. Ein Ergebnis des Krieges war die engere Anbindung Ägyptens an die übrige arabische Welt. Nach einer Konferenz in Kairo 1945 wurde schließlich die Arabische Liga gegründet.

Zu den Vermächtnissen der ausländischen Armeen in Ägypten gehören die sogenannten Todesfallen. Über eine Million Hektar im Gebiet um Al-Alamain sind bis heute unbetretbar. „Es gibt Gegenden in der westlichen Wüste, die mit Minen übersät sind. Kein Mensch kann dort einen Fuß hinsetzen, um Felder zu bestellen, das Wasser der vielen Brunnen zu nutzen oder Viehzucht zu betreiben“, sagt Taher Aid, ein Repräsentant der westlichen Wüste im ägyptischen Parlament. Der ägyptische Außenminister Amru Mousa forderte die damaligen Kriegsparteien am Tag der Festlichkeiten auf, nun endlich die Minenfelder von Al-Alamain zu räumen. Außer den Minen scheint die dort lebenden Beduinen kaum etwas mit den Gedenkveranstaltungen zu verbinden. „Wie war's?“ fragt einer im Sammeltaxi zurück nach Alexandria seinen Freund, der die Feierlichkeiten beobachtet hat. „Ein musikalisches Brimborium“, war die Antwort. „In wenigen Stunden ist hoffentlich alles vorbei“, fügt er hinzu, während die schwarzen Limousinen der ausländischen Botschafter und die Busse der Veteranen an uns vorbeirasen.

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