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Kindsmord vor Gericht

■ 21jährige Mutter hatte sich vom Freund vernachlässigt gefühlt/ Entführung ihres Säuglings durch Skinheads vorgetäuscht

Moabit. Fast eine Woche lang hatte die 21jährige Hausfrau Grit A. im vergangenen Frühjahr daran festgehalten, ihr dreieinhalb Monate alter Sohn sei von drei Skinheads entführt worden. Ihre Schilderung, die drei Männer hätten ihr den Kinderwagen abends auf offener Straße in Marzahn entrissen, wirkte so glaubhaft, daß die Kripo keine Zweifel daran hatte. Erst als das Kind am 26. April tot aus dem Marzahner Flüßchen Wuhle geborgen wurde, gab Grit A. zu, Alex an der Böschung des Flusses aus dem Kinderwagen gekippt zu haben.

Seit gestern steht die zierliche Frau, die fast noch wie ein Kind wirkt, wegen Mordes vor der 23. Strafkammer des Landgerichts. Doch das erwartete Geständnis brachte die junge Frau gestern im Gegensatz zu ihrer Aussage bei der Polizei nicht über die Lippen. Mit leiser, aber fester Stimme hielt sie trotz immer ungeduldiger werdenden Nachfragens des Vorsitzenden Richters Theodor Seidel daran fest, es sei ein Unfall gewesen. Doch diese Aussage als neuerliche Lügengeschichte abzutun, wäre leichtfertig.

Vieles spricht dafür, daß sich die schwer zugänglich wirkende Mutter die Wahrheit, ihr Kind getötet zu haben, einfach nicht eingestehen kann. „Ich kann kaum noch schlafen und habe Alpträume. Die ganze Sache macht mich einfach fertig“, sagte die sonst eher gefaßt wirkende Angeklagte gestern unter Tränen.

Grit A. war bereits Mutter des dreijährigen Sebastian – sein Vater hatte sie beim Bekanntwerden der Schwangerschaft verlassen –, als sie von ihrem neuen Lebensgefährten Matthias E. ein weiteres Kind erwartete. Die zweite Schwangerschaft habe sie erst im achten Monat bemerkt. Weil sie sich von einem zweiten Kind überfordert fühlte, habe sie kurzzeitig erwogen, dieses zur Adoption freizugeben. Dann hätten sie und Matthias das Kind aber doch „akzeptiert“.

Nachdem Alex zur Welt gekommen war, habe sie ihr ständig Überstunden machender Lebensgefährte jedoch immer mehr vernachlässigt. Daß sich Grit A. sehr einsam, isoliert und wenig geliebt gefühlt hat, ist ihrem Tagebuch und einigen Briefen zu entnehmen, die gestern unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlesen wurden.

Am Tag der Tat war Grit A. mit ihren beiden Kindern zunächst auf der Geburtstagsfeier von Matthias' Mutter gewesen. Nachdem sie ihren Freund dort knapp verfehlte, fuhr sie mit Sebastian und Alex mit der Straßenbahn nach Marzahn zurück. Auf der Heimfahrt, so sagte sie gestern, sei sie von einem Mann sexuell belästigt worden. Dadurch sei sie so kopflos geworden, daß sie auf dem Gras am Ufer der Wuhle mit dem Kinderwagen hängengeblieben sei. Dabei müsse Alex aus dem umgekippten Wagen gefallen sein. Sie habe nicht weiter nach dem Kind gesucht und sei mit dem schreienden Sebastian über die Felder nach Hause gerannt.

Bis zum Schluß, sagte die Angeklagte gestern, habe sie felsenfest geglaubt, daß Alex „geklaut worden ist“, und sehnlichst gehofft, ihn lebend zurückzubekommen. Bei der Polizei hatte Grit A. nach der Entdeckung des toten Kindes aus Angst vor dem Gerede der Leute gelogen.

Bei der Kripo hatte Grit A. ausgesagt, sie habe bereits in der Straßenbahn geplant, sich Alex zu entledigen. Erst habe sie erwogen, den Kinderwagen einfach vor der Kaufhalle stehen zu lassen, „weil mich angekotzt hat, daß Matthias wieder nicht da war“. Dann habe sie den Kinderwagen jedoch an der Wuhleböschung umgekippt. Die Frage der Kripo, ob sie das Kind danach noch gesucht habe, hatte sie laut Protokoll verneint: „Dann hätte ich ihn da nicht runterkippen brauchen.“

Der 23jährige KFZ-Mechaniker Matthias E. antwortete gestern auf die Frage nach der Beziehung zu Grit: „Ich habe sie nicht schlecht behandelt.“ Er habe deshalb so viel gearbeitet, um den vierten Esser in der Familie „ordentlich groß zu kriegen“. Aber Heiraten sei nicht sein Ding, „zumal ich ein paar Arbeitskollegen habe, wo so was schiefgegangen ist“. Als Grit ihn einmal danach gefragt habe, habe er ihr spaßhaft geantwortet: „Meinst du, daß uns noch jemand nimmt?“ Damit sei das Thema beendet gewesen. Plutonia Plarre

Der Prozeß wird fortgesetzt.

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