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Gefangene in Bosnien kommen frei

■ ...doch nur wenige Regierungen sind bereit, sie aufzunehmen/ UNO-Verfassungsentwurf für Bosnien sieht ethnisch gemischte Provinzen vor

Genf (taz) – Tausenden Insassen von Internierungslagern in Bosnien-Herzegowina droht in den nächsten Tagen und Wochen der Hunger- und Kältetod, falls Deutschland und andere westliche Staaten sich nicht umgehend zu ihrer Aufnahme bereit erklären. Einen entsprechenden Appell veröffentlichten gestern zum wiederholten Male das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Laut UNHCR befinden sich noch mindestens 10.000 Menschen in Internierungslagern, davon über 3.000 im größten serbisch verwalteten Lager Manjaca bei Banja Luka. Bis zum Samstag dieser Woche sollen nach einer Vereinbarung zwischen den drei bosnischen Kriegsparteien alle Gefangenen freigelassen sein. 5.000 Männer, die von ihren Wärtern bereits letzte Woche dem IKRK übergeben wurden, können die Lager mangels Aufnahmebereitschaft westlicher Regierungen nicht verlassen. In Abkehr von ihrer bisherigen Haltung, wonach die Verbringung von Ex-Gefangenen und Flüchtlingen ins Ausland die „ethnische Säuberungspolitik“ der Serben unterstütze, erklärten sich bisher die USA zur Aufnahme von 1.000 Menschen bereit. Zusagen erhielt das UNHCR außerdem aus Norwegen, Finnland, Italien, der Schweiz und Neuseeland. Keinerlei Bereitschaft zur Aufnahme der Gefangenen und ihrer Familien zeigen dagegen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und die Beneluxstaaten. Das UNHCR hat die Bonner Regierung inzwischen gebeten, wenigstens 300 Insassen aufzunehmen, die nach eigenen Angaben Verwandte in der BRD haben.

Die von den Vorsitzenden der Jugoslawienkonferenz, Cyrus Vance und Lord Owen, gemeinsam mit Serben, Kroaten und Muslimen Bosniens erarbeiteten Grundzüge für eine Verfassung Bosniens, die heute nachmittag in Genf und New York veröffentlicht werden, sehen die weitere Existenz dieses Staates sowie seine Untergliederung in ethnisch gemischte Provinzen mit weitgehenden Befugnissen vor. Das zwölfseitige Dokument sieht vor, daß alle drei Nationen an der Zentralregierung beteiligt werden müssen. Die Provinzen, deren genaue Zahl und Grenzen in dem Entwurf nicht festgelegt sind, sollen vorrangig unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und geographischer Strukturen geschaffen werden. Die Kontrolle über Polizei, Gerichtsbarkeit, Sprache und Erziehung sollen die Provinzregierungen ausüben – jedoch im Rahmen einer Sicherung von Minderheitenrechten. Zwar wird davon ausgegangen, daß in den meisten Provinzen jeweils eine Volksgruppe in der Mehrheit ist. Doch „ethnisch reine“ Provinzen sind nicht vorgesehen. Das Recht auf Rückkehr aller Vertriebenen wird in dem Entwurf erneut bekräftigt. Der Sprecher von Vance und Owen mußte gegenüber Journalisten allerdings einräumen, daß das Verfassungsdokument angesichts der bereits geschaffenen Fakten in Bosnien „vielleicht unrealistisch“ sei. Andreas Zumach

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