: Das vierte Gebot
■ Ingmar Bergmans Eltern in einem Film von Bille August
Ob er ihr beim Aufwickeln der Wolle zur Hand gehen könne, fragt die Mutter den Herrn Kandidaten. Lächelt ihn an, spricht mit freundlicher Stimme, leise, verbindlich. Die Haare trägt sie hochgesteckt, das Kleid hochgeschlossen. Der Kandidat erwidert und bleibt mit der Anrede ebenfalls in der dritten Person. „Darf ich noch eine Frage stellen“, bittet sie schließlich um Erlaubnis zur Fortsetzung der Konversation.
Im Gespräch: Karin Akerblom, Bergmans Großmutter, mit Hendrik Bergman, ihrem zukünftigen Schwiegersohn, dem Vater des schwedischen Regisseurs. Gesprächsgegenstand: die unmögliche Verbindung zwischen dem armen Theologiestudenten Bergman und der Akerblom-Tochter Anna, dem Mädchen aus gutbürgerlichem Hause, wohlhabend, verwöhnt, selbstbewußt. Diese Ehe, glaubt Mutter Karin, wäre eine Katastrophe und muß verhindert werden. Deshalb lädt sie den Kandidaten ins Landhaus und bringt ihm bei besagter Konversation nahe, er solle sich bitte ein für allemal entfernen. Annas Brief an den Verlobten fängt sie ab und hintertreibt so eine Liebe, die im Schweden des Jahrhundertbeginns allein der Klassenschranken wegen ein Skandal war. Zwar will Annas gütiger Vater (Max von Sydow) einlenken, aber sein Widerspruch bleibt kraftlos: „Es ist nicht recht, Karin.“
Die Intrige wird mit vollendeter Höflichkeit in Szene gesetzt, eine Heuchelei, garniert mit gestärkter Baumwollspitze und üppigen Tischgelagen. Mit formvollendeten Manieren und liebevoller Fürsorge verhindern die Eltern das Glück der Tochter; Sittenstrenge paart sich mit Warmherzigkeit – der sanfte Druck wirkt bekanntlich am meisten.
Ähnlich wie in „Fanny und Alexander“ (und zum Teil mit den gleichen Schauspielern) erzählt Ingmar Bergman auch diesmal von einer Kehrseite bürgerlicher Wohlanständigkeit: dem Terror elterlicher Güte. Aber anders als „Fanny und Alexander“ ist die Geschichte von Verlobung, Heirat und früher Ehe der Bergman-Eltern Hendrik und Anna kein Bergman-Film: Regisseur von „Die besten Absichten“ ist Bille August („Pelle, der Eroberer“), nur das Drehbuch stammt von Bergman selbst. In Cannes gewann der Film in diesem Jahr die Goldene Palme, aber der Preis galt wohl eher dem Gesamtwerk Bergmans. Denn diesmal implodiert das Familienidyll nicht zum Alptraum, höchstens fallen ein paar Schatten. Der Regisseur Bergman wahrt die Sitten und legt zugleich deren Grausamkeit bloß: ein Akt der Zerstörung, der dem Terror, von dem er erzählt, mit dessen eigenen Waffen beikommt. Regisseur August zerstört nicht, er übt nur Kritik. Das gesunde Leben auf dem Lande, die erste Liebe in nordischer Natur samt Birkenhain und Blockhütte – bei August geraten sie zum Klischee. Bergman hatte es demaskiert. Und doch blitzt manchmal das Bergmansche Genie auf, jene „unmögliche Verbindung“ von bourgeoisem Sittengemälde und illusionslosem Blick, Normalität und Wahn, Nostalgie und bitterer Erinnerung. Immer wird geweint, vom Glück ist viel die Rede.
Das Liebespaar: Hendrik und Anna, der Asket und die Lebenslustige. Hendrik (Samuel Fröler) lächelt verloren, ein durchdringender, aber zugleich undurchdringlicher Blick. Anna (Pernilla August), die Praktische, mit den entschlossenen Zügen um die Lippen, keine Schönheit, eher derb, aber empfindlich. Annas Direktheit trifft Hendrik mitten ins Herz. „Ich bin immer ganz durcheinander, so voller Gefühle“, sagt sie zuerst. Und später, streng romantisch: „Dann wollen wir uns jetzt küssen.“ Eine Liebe in Worten. Wenn sie zu weinen droht, tobt zwischen Mundwinkeln und Augenfältchen der Kampf um die Haltung. In Cannes gewann Pernilla August den Preis für die beste Schauspielerin.
In der Dorfkirche streiten sie zum erstenmal. Hendrik hat eine Stelle im Norden angenommen, in einer kargen, kalten Wildnis, wo die Arbeiter gegen den Fabrikbesitzer aufbegehren und der Klassenkampf mit Fäusten und Stöcken ausgetragen wird. Hendrik will hier heiraten, denn hier ist jetzt sein Platz – mit den Arbeitern wird er sich solidarisieren. Aber Anna wünscht sich ein feierliches Hochamt im Dom von Uppsala, ein großes Fest, keine bescheidene Feier im kahlen Kirchlein. Jetzt, wo ihrem gemeinsamen Glück niemand mehr im Weg steht, zerbricht die so unerbittlich bekämpfte Harmonie: an ihnen selbst. Hendrik schlägt Anna. Sie sagt: „Wir haben unser Liebeskapital verspielt.“ Dann schweigen sie sich an.
Diesmal lenkt Hendrik noch ein, aber später bleibt er stur – die junge Ehe: ein Machtkampf. Die Stelle am königlichen Krankenhaus in Stockholm schlägt er aus, obwohl Anna sich nach der Stadt sehnt. Zunächst bemüht sie sich, wieder, um Haltung: „Ich muß jetzt manchmal auch ein bißchen nachgeben.“ Aber dann verläßt sie ihn, schließlich reist er ihr nach. Das Ende: eine halbherzige, wortkarge Versöhnung, Liebe ohne Liebe – Anna ist schwanger mit Ingmar. Wie es weitergeht, wissen wir aus Bergmans Oeuvre.
Der erste Teil des Films schildert die Familienintrige, bis zu dem Moment, als Karin Akerblom beim Tod des Vaters der Tochter den unterschlagenen Brief beichtet. Auch so ein halbherziger tränenseliger Friedensschluß, man glaubt es kaum nach all den Machenschaften. Der zweite Teil des Films, die Chronik der ersten Ehejahre, zerfällt in Episoden, was wohl dem Umstand zu schulden ist, daß „Die besten Absichten“ in zwei Fassungen gedreht wurde: sechs Stunden fürs Fernsehen, drei Stunden fürs Kino, mit 18 Millionen DM Budget die teuerste Filmproduktion Schwedens.
Aber es gibt auch psychologische Motive: Bergmans Wille zur Versöhnung. „Fanny und Alexander“ sollte nicht das letzte Wort sein in Sachen Eltern und Kinder. Der Autor sagt es selbst: „Es war von ungeheurem Vorteil, daß ich mit meiner Mutter und meinem Vater Freundschaft schloß, bevor sie aus meinem Leben verschwinden konnten.“ In seinem Drehbuch rehabilitiert er posthum die Elterngeneration. Auch sie waren einmal Söhne und Töchter; das Leid, das sie zufügten, war ihnen selbst zugefügt worden.
Allerdings kann die Erkenntnis dieser zyklischen Wiederkehr die erlittene Grausamkeit nicht mildern, auch nachträglich nicht – Bergmans Drehbuch verschweigt das, die fehlende Stringenz der zweiten Filmhälfte läßt es ahnen. Hätte Bergman den Film selbst gedreht, wäre der Drehbuchautor mit dem Regisseur wohl in Konflikt geraten.
Es gibt einen Vorspann. Darin sucht Hendrik seinen Großvater auf, der ihn überreden will, zur sterbenden Großmutter ins Krankenhaus zu gehen und Frieden zu schließen. Hendrik lehnt ab, der Großvater verzweifelt über die Hartherzigkeit des Enkels. Die folgenden drei Kinostunden geben dem Großvater recht – ein Plädoyer für das vierte Gebot. Ingmar Bergman hat seine Mutter vor ihrem Tod im Krankenhaus besucht. Aber das ist wohl eine andere Geschichte. „Wer weiß, wie es sich in Wirklichkeit abgespielt hat.“ Sagt Bille August.
Christiane Peitz
Bille August: „Die besten Absichten“. Nach einem Drehbuch von Ingmar Bergman, Kamera: Jörgen Persson. Mit Samuel Fröler, Pernilla August, Max von Sydow, Ghita Norby. Schweden/Internationale Koproduzenten 1991, ca. 180 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen