Großstadtdschungel

John Sayles' Plädoyer gegen den Minoritätenkult  ■ Von Mariam Niroumand

Von Hudson City, New Jersey, aus kann man die Skyline von Manhattan sehen. Alles, was sich dort zum Teil erfolgreich hinter spiegelnden Fassaden und architektonischer Eleganz verbirgt, liegt in Hudson City bloß. Die amerikanischen Großstädte, einst der Inbegriff modernen Zusammenlebens, fallen zurück in einen präzivilisierten Zustand der Stammesfehden, des Wegelagerns und der verbarrikadierten Fürstentümer; endlich der Dschungel, das Dickicht, wie sie die Alte Welt schon immer gesehen hat.

Während die meisten Urban Desaster Movies wie „New Jack City“ hauptsächlich von der Übermacht des Verbrechens erzählen und so eigentlich nur noch den Ruf nach High-Tech-Bürgerwehren bleibt, hat der Regisseur John Sayles in „City of Hope“ dem politisch-kulturellen Apparat ins Getriebe geschaut und dabei ungemütliche und ermutigende Beobachtungen gemacht.

Weil die Art, wie die Stadt lebt, das Hauptthema dieses Films ist, verläuft die Handlung entlang ihrer wichtigsten Lebensadern: in den Hinterzimmern, in denen die Baulöwen ihren Ratsmitgliedern erklären, welche Häuser entmietet werden müssen, damit das japanische Kapital bleibt; in den Wohnungen, in denen Leute sich trösten, Kranke pflegen oder Drogen nehmen; im Gemeinderat, wo sich entscheidet, ob es eine Steuererhöhung zugunsten der öffentlichen Schule gibt oder ob auch die letzten besserverdienenden Weißen ihre Kinder in einer Privatschule unterbringen, in der Englisch eben noch die Hauptsprache ist.

Natürlich spielt dieser Film vor allem auf der Straße, wo der Stamm der Italian-Americans auf den der African-Americans, beide auf die Cops, die Hispanics, und die Frauen auf die Männer trefffen. Und weil in den siebziger Jahren identity politics aufkamen, bestehen jetzt alle auf ethnischem Separatismus; die alten Allianzen, zum Beispiel zwischen Juden und Schwarzen, sind auseinandergebrochen, und übrig bleibt ein schwarzer Nationalismus, den Spike Lee in seinem Film über Malcolm X sicher ausgiebig feiern wird.

Weil John Sayles kein filmischer Comic-Zeichner ist wie Spike Lee, sondern jemand, der selbst Romane geschrieben hat, sind ihm seine Protagonisten auch nicht als Abziehbilder geraten. Die schillerndste Figur des Films ist Wynn, ein smarter Bürgerschaftsvertreter der Schwarzen, der sowohl Karriere machen als auch etwas für seine Gemeinde tun will. Wenn er in sein altes Viertel fährt, um Leute für die Unterstützung der öffentlichen Schule zu gewinnen, dann schnarrt der jüngst konvertierte Black Muslim: „Kein Cent für die Schule des weißen Mannes. Weißer Mann belügt schwarze Kinder über die Geschichte unseres Volkes.“

Und als schließlich ein Lehrer eben dieser Schule von zwei schwarzen Kids erst zusammengeschlagen und dann fälschlich beschuldigt wird, sich sexuell an ihnen vergriffen zu haben, ist Wynn in der Zwickmühle: Auf wessen Seite steht er?

„Es geht nicht um deine moralische Integrität“, erklärt ihm der inzwischen zu Geld gekommene frühere schwarze Bürgermeister, „es geht darum, ob du die Leute führen kannst.“ Wynn weiß, daß es so einfach nicht ist. Ein schwarzer Bürgermeister ohne Steuereinnahmen, das ist das Ergebnis von Black Nationalism: Die Weißen wandern ab, wie in Detroit, was bleibt, ist Armut wie in der Dritten Welt. Phantastisch, wie Sayles' Wynn an dem entscheidenden Abend aus der Klemme kommt. Er redet in dem Gospel-Rhythmus, der von einem Black Leader erwartet wird, aber er marschiert mit seinen Leuten in die Feierstunde des Bürgermeisters, um zu demonstrieren, „wie sehr wir uns ausgeschlossen fühlen“, nicht wie sehr wir unter uns sein wollen.

So lange wie Sayles hat sich außer Cassavetes kaum einer der unabhängigen amerikanischen Regisseure halten können. Schon in seinem ersten Film „Return of the Syracus7“ (1980) zeigte er ein Fingerspitzengefühl dafür, wie Leute in diesem Wohnblock so und im nächsten anders reden. Er sieht zwar Stämme am Werk, aber auch deren innere Differenzierungen. Seine Romane spielen im Arbeiter- oder Anarchistenmilieu. Er schrieb Drehbücher für den Urban Horror „The Howling“ oder für die Paley-Verfilmung „Enormous Changes at the Last Minute“, er drehte Musikvideos für Bruce Springsteen und betreute eine kurzlebige Fernsehserie. Nie hat er die Arbeiter in seinen Filmen romantisiert, die Kumpels im Bergwerker-Film „Matewan“ sind hemdsärmelig, aber auch zickig, schwierig, verschroben.

Selten hat Sayles sich so viel Melodram geleistet wie in „City of Hope“, wo plötzlich inmitten all dieser scharf überlegten, nüchternen Großstadtturbulenz ein kleiner Arthur-Miller-Effekt einsetzt. Die meiste Aufmerksamkeit nämlich widmet der Film der Beziehung zwischen dem Bauunternehmer Joe Velton und seinem Sohn Nick, der ihm, typisch für die dritte Immigrantengeneration, den Laden irgendwann vor die Füße schmeißt und lieber ein drop-out als ein Aufsteiger sein will. Während Joe sich krummlegt für seine Familie, will Nick, daß er sich mehr gegen die Finanzhaie wehrt – eine Konstellation, die sich ganz bewußt an den „Tod eines Handlungsreisenden“ anlehnt.

Aber eigentlich schadet so ein bißchen Melodram dem Film gar nicht. Wenn man Nicks Flamme Angela mit ihrem behinderten Kind sieht oder Nicks grummelnd solidarische Schwester, fühlt man sich in die besten Zeiten des Grips- Theaters zurückversetzt: Die Lage ist düster, aber glücklicherweise bist du noch da und du und der da, und es geht ja gar nicht um Alter oder Hautfarbe, sondern darum, wie wir leben wollen in unserer Stadt.

„City of Hope“. Buch, Regie und Schnitt: John Sayles. Kamera: Robert Richardson. Mit: Vincent Spano, Joe Morton, Barbara Williams, John Sayles. USA 1992, 129Min.