: Mäuse in der Frikadelle
■ Wolfgang Sieg stellt heute abend sein neues Buch Engel inne U-Bahn im Literaturhaus vor und die Pädagogik auf den Kopf
stellt heute abend sein neues Buch Engel inne
U-Bahn im Literaturhaus vor und die Pädagogik auf den Kopf
Fritten-Wolli fürchtet keine Konkurrenz durch die drohende Yuppisierung der Speicherstadt. Denn wenn die jungen Leute „neue Küche“ gespachtelt haben, müssen sie sich hinterher doch erstmal mit Currywurst und Pommes sattessen. Und daß ihm der alte Lehrer seinerzeit in der Schule Sauberkeit eingeprügelt hat, das hat Fritten- Wolli sich auch als Pommes-Höker hinter die gewaschenen Ohren geschrieben: „In deine Frikadellen kannste ganze Mäusefamilien verarbeiten, aber ein schwarzer Fingernagel ruiniert deine berufliche Existenz.“
Wer hat heute wohl noch Zeit und Lust, sich über die Maxime „nicht für die Schule, für das Leben lernen wir“ mit solcher Hingabe zu mokieren, wenn nicht ein Pädagoge? Der Oberstudienrat mit Wohnsitz auf dem Lande hat wieder zugeschlagen. Wolfgang Sieg hat auf seinen Streifzügen durch seine Heimatstadt Hamburg wieder Typen und Schicksale, Gemeinheiten, Psychoterrorakte und himmlische Begebenheiten aufgesammelt und seinem Verlag Galgenberg anerboten, der sogleich all die Unflat drucken mußte.
Der 56jährige hat mit seinen satirischen Produkten, ob er sie nun samstags morgens auf missingsch ins Radio näselt oder seine Zuhörer bei Lesungen von Angesicht zu Angesicht in die Abgründe menschlicher Seelen und in die verwickelten Hirnwindungen mal psychopathischer, mal sympathischer Randfiguren entführt, nicht nur Preise eingeheimst. Er hat sich auch eine Fan-Gemeinde erobert, die nun mit dem Buch Engel inne U-Bahn Nachschub bekommt.
Sechzig neue Stories hat Sieg unter Zwischentiteln gebündelt, beginnend mit den „Mittendrin“-Geschichten, denen die tiefergehenden Betrachtungen des „Fritten- Wolli“ folgen, der weiß, daß ein Imbiss-Kunde für „Atmo-Servis“ durchaus eine hartgebrutzelte schwarze Bratwurst in Kauf nehmen sollte. Ob die Gattung der schrägen Gestalten nun unter „Familienburger“, „Geschäftsburger“, „Hamburger“ oder „Mitburger“ firmiert - alle bekommen ihr Fett weg und nicht wenige Spritzer schwarzen Humors ab. Zu „höheren Werten“ und zur „höheren Warte“ schwingt sich Sieg in den beiden letzten Geschichtenbündeln auf,
1von dort läßt es sich nämlich noch schöner abstürzen. Denn: Was weiß der Papst schon über Balkonläuse? Und: Wer sich als Engel in die U-Bahn verirrt, darf sich nicht
1wundern, gerupft zu werden.
Julia Kossmann
Wolfgang Sieg, „Engel inne U-Bahn“, Verlag am Galgenberg, 32 Mark; Lesung: Literaturhaus, 20 Uhr
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