: Ratlose Weihnachtskleckse
■ Dem Neuköllner Puppen- und Kindertheater „Klecks“ droht nach achtzehn Jahren finanzielle Ende
Der Gang zur Pressekonferenz gestaltet sich schwierig, denn der schmale Eingang zum Klecks-Theater ist völlig verstopft. „Eins, zwei, drei – nun bleibt doch mal einen Moment stehen!“ rufen die ErzieherInnen durcheinander, wild fuchtelnd sind sie bemüht, ihre kleinen Zöglinge sicher und vollständig aus der Theatervorstellung zu geleiten. Eben gerade endete die Frühvorstellung in Berlins ältestem bezirklichen Kindertheater, und „Kasimir, der dicke Kater“ scheint noch in den Augen der vielen ZuschauerInnen wider.
Die drangvolle Enge im Foyer ist keineswegs für die Presse inszeniert, das Klecks ist seit achtzehn Jahren eines der erfolgreichsten Kinderbühnen Berlins. Die 88 Plätze sind tagtäglich ausverkauft, im jährlichen Durchschnitt besuchen 22.000 Kinder die Theatervorstellungen in der Schinkestraße.
Ob das in Zukunft auch noch so sein wird, weiß derzeit niemand. Denn in diesen Tagen bricht den zehn festangestellten Klecks-MitarbeiterInnen der Boden unter den Füßen weg: nicht nur, daß der Beirat für die freien Gruppen, welcher im Auftrag der Senatskulturverwaltung Subventionen verteilt, das Klecks in diesem Jahr nicht in die Riege der zehn optionsgeförderten Bühnen aufgenommen hat, nun droht dem Kindertheater auch noch die Kündigung ihrer Räume.
Seit 1984 hatte das Klecks regelmäßig einen festen Haushaltsansatz aus dem Sondertopf der freien Gruppen bezogen. Aus den 100.000 DM im ersten Jahr wurden letztlich 230.000 DM Zuwendung im vergangenen Jahr, mit denen Klecks-Leiter Knut Teuscher fest rechnen konnte. Die zum Teil recht aufwendigen Puppenspiel- Produktionen konnten auf diese Weise solide geplant und auch zuverlässig bezahlt werden. Nach der Reform der Vergabepraxis durch den Beirat der freien Gruppen wurden die Karten nun neu gemischt. Unter den zehn Theatern, die im Sommer per Beschluß in den Genuß einer dreijährigen Finanzförderung kamen, war nur ein Kindertheater: die Hans Wurst Nachfahren. Nicht daß er seinen Kollegen das Geld nicht gönne — aber eine Begründung, warum nun plötzlich das Klecks nicht mehr für förderungswürdig befunden wurde, hätte Knut Teuscher von der Senatsverwaltung schon gerne gehört. Schließlich hat sich vom letzten zu diesem Jahr weder etwas an der Arbeit des Klecks noch an seiner Beliebtheit bei den Kindern geändert.
Außer mit vagen Erklärungen und traurigem Achselzucken konnte der Beirat mit keinem Trost dienen: immerhin gäbe es ja noch die Projektförderung, um die sich das Klecks noch bewerben könne, hieß es lapidar.
Parallel zu diesen Hiobsbotschaften braute sich über den Puppenköpfen des Klecks ein weiteres Unwetter zusammen. Der Gebäudekomplex in der Schinkestraße wechselte nach der Wende als Spekulationsobjekt gleich zweimal den Besitzer. Nun versucht die neue Hausverwaltung Quadrat, die angestammten Gewerbemieter aus ihren Räumen zu verdrängen. Das Türkenzentrum im Hinterhaus ist bereits im Begriff, die Kisten zu packen, die horrende Mieterhöhung kann der Verein nicht bezahlen. Knut Teuscher wähnte sich lange in sicherer Position. Noch mit dem alten Vermieter hatte er einen Zehnjahresvertrag bis 1996 abgeschlossen, mitsamt einer großzügig eingeräumten Kündigungsfrist von zehn weiteren Jahren. Nun aber will sein damaliger Vertragspartner, der sich früher dem Klecks gegenüber immer sehr generös zeigte, von dieser Verabredung nichts gewußt haben, und Knut Teuscher, der diesen ungewöhnlich fairen Mietvertrag nur in einer unbeglaubigten Kopie besitzt, kann die Gültigkeit des Dokuments nicht beweisen.
Nach einem Schlichtungstermin und einer Verhandlung vor dem Neuköllner Kammergericht droht dem Klecks nun die Räumungsklage. Das Kammergericht sprach am vergangenen Montag Recht und miteins die eine Empfehlung aus, die wohl ein Vermittlungsversuch sein soll, für das Klecks aber eher wie ein Erpressungsunternehmen klingt: nur wenn Knut Teuscher umgehend 22.500 DM Kaution hinterlegt und freiwillig auf einen Teil der von ihm angemieteten Kellerräume verzichtet, kann eine sofortige Räumung vermieden werden, so das Kammergericht. In diesem Falle wäre zumindest eine weitere Klageinstanz vor dem Landgericht möglich.
Die Lage ist verfahren. Dem Klecks fehlt das Geld für die geforderte Kaution oder zumindest ein entsprechender Bürge; an die Erarbeitung neuer Produktionen für das nächste Jahr vermag angesichts gestrichener Subventionen und drohender Räumung niemand mehr zu denken. Auch ob das Klecks wenigstens in den Genuß von Projektförderung kommen wird, ist immer noch ungewiß, frühestens im Februar 1993 rechnet Knut Teuscher in dieser Sache mit einem Bescheid. Bis dahin sollte der Senat seine schützende Hand wenigstens in Sachen Entmietung über dieses Theater legen. Zur Zeit prüft Teuscher die Möglichkeiten, vom Kultursenator die Kaution überlassen zu bekommen und über andere Töpfe – vielleicht aus dem Senat für Familie, Jugend und Sport – wieder an feste Förderungsgelder zu kommen. Sollte der Rechtsstreit mit Quadrat nicht mehr zugunsten der Klecks-Leute entschieden werden können, gilt es, neue feste Räume zu finden. Ein Tingeln durch verschiedene Veranstaltungsorte – hier einen Monat, dort zwei – kommt für die Arbeitsweise des Klecks wohl kaum in Frage. Außerdem darf niemand vergessen, daß hier für sehr kleine Kinder gespielt wird: Nichtraucherräume, unmittelbare Nähe zur U-Bahn und eine kindgerechte Atmosphäre – das sind Raumqualitäten, die das Klecks nicht aufgeben will. Denn daß sich das Klecks bisher zu immerhin 50 Prozent selbst tragen kann, liegt sicher auch an der rührenden Fürsorge für ihr kleines Publikum. In der Adventszeit wird – hoffentlich noch in den angestammten Räumen in der Schinkestraße – „Der ratlose Weihnachtsmann“ gegeben. Knut Teuscher muß lachen. Irgendwie paßt die Rolle zu diesem bärtigen Theaterleiter, und irgendwie auch wieder nicht. Denn Ratlosigkeit läßt Teuscher trotz aller Probleme noch gar nicht in seinen Kopf rein. „Es muß doch weitergehen – egal wie!“ heißt seine Parole. Hoffentlich hat das Klecks wirklich frohe Weihnachten. Klaudia Brunst
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