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Wand und BodenEs bleiben ein Zitat und ein Zweifel zurück

■ Kunst in Berlin jetzt: Rennbahn, Religion, Rickey und Anbau an die documenta

Es sieht aus wie das, was es ist, dennoch trennt ein schier Unendliches die Rennbahn aus Holz von ihrer sinnbildlichen Bestimmung. Holger Waldemar Schwöbel hat im Kunst Büro Berlin, Skalitzer Straße 33, eine elliptische Sprintstrecke installiert, die nicht als Zeichen der Kunst gelesen werden soll, sondern ganz unsymbolisch zum Laufen animiert. Halb werden Rummelplatzträume wahr, halb will natürlich auch die physische Verausgabung für mehr Sinnlichkeit sorgen. Wer läuft, nimmt den Raum nicht mehr als Objekt wahr, wer es nicht tut, läuft Gefahr, nur seine Projektionen wahrzunehmen. Die Funktion dominiert über die Anschauung, jede andere Beschäftigung schließt der Künstler aus, obwohl einigen Ästheten auffallen muß, wie sehr sich die Rennbahn dem Raum anschmiegt. Fast ist man geneigt, das ungeschliffene Holz zu »beuysianisieren«. Doch der Kreislauf als konzeptuelles Desiderat einer anthroposophischen Kontemplation wird in der Praxis durch zwei ebenso augenfällige wie schlichte Hindernisse unmöglich gemacht. Im hinteren Teil der Strecke führt eine Steilwand durch die Kurve, vorne ist der Radius hingegen abgeflacht; der erhabene Teil führt den Läufer in die Ekstase der Beschleunigung, während ihn der ebene Part aus der Bahn werfen kann. Man muß sich beim Laufen konzentrieren.

Um zumindest ein wenig mit dem Realobjekt zu spielen, hat Schwöbel im Eingangsbereich ein Schild befestigt: Betreten auf eigene Gefahr. Nicht ohne Folgen. Wo in anderen Ausstellungen eine Versicherung vor dem Zugriff der Besucher schützt, dreht sich dieses Verhältnis auf der Rennbahn um. Kunst soll zwar Spaß machen, kann aber ganz schön wehtun, wenn man sich dabei die Haxen bricht.

Rennbahn-Rumspace bis 8.11.; Do.–So. 15–19 Uhr

Für den Skulpturenboulevard hat George Rockey ein in die Lüfte stakendes Monument gebastelt, vor der Neuen Nationalgalerie baumelt seine Metallfahne im Wind, und in der Berlinischen Galerie sind derzeit kinetische Objekte in Schreibtischformat zu sehen. Es muß an der langjährigen Freundschaft liegen, die den feinschmiedenden Bildhauer aus Amerika mit dem Museum verbindet. Der Künstler ist pädagogisch sinnvoll und klug neben konstruktivem Stahl und den Lichtgebilden von Naum Gabo postiert worden, fast schwingt sich die kunsthistorisch stimmige Kontinuierlichkeit über die Musterstücke empor. Rickeys vom lauen Luftzug einiger Ventilatoren unermüdlich bewegte blankgeflexte Stahlstreben tänzeln ein wenig geziert nach den Gesetzen der Aviatik. Was aber die fast fliegenden Körper in ihrer Flächendimension bewirken – eine lineare Zerteilung von Raum in vertikale und horizontale Ebenen – hebt ihre permanente Kreisbewegung wieder auf. Der Künstler nennt dieses Zusammenspiel von Raum und Zeit zu Recht unendlich. Andererseits können die Objekte ihr kegelförmiges Kreisen nur wiederholen, aber nicht variieren. Ein an der Achse verankertes Gelenk bestimmt und definiert den Aktionsradius. Für einen Computerspezialisten löst sich daher das Wunderwerk einer machinistischen Natur schon bald in wohlbefolgte Technik auf. Die im Prägedruckverfahren hergestellten Skizzen haben dagegen auch im nachhinein rätselhafte, schöne Züge einer kaum sichtbaren, matten Architektur: wie die versponnene Schrift eines Winkeladvokaten.

Im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße 110, Di.–So. 10–20 Uhr.

Lytschersar Bojadshiev geht mit Kunst und Religion am Ende der Utopien um. Aufrecht ateistisch. Als „Festigung des Glaubens“ zeigt der bulgarische Künstler-Theoretiker in der ifa- Galerie an der Friedrichstraße 103 Installationen, die einen Hexentanz mit postmodernen Tendenzen und anderen patriarchalischen Bedeutsamkeiten vollführen. Zum Sturm auf die alten und neuen Ikonen setzt er eine Bilderflut in Bewegung, die zwischen den Spiegelkabinetten der Franzosen und orthodoxer Altarkunst hin und her wandert, ohne die Erfahrungen zu summieren. Bojadshiev parallelisiert Welten und Modelle. Eine Postkartenserie des Gekreuzigten macht qua Reproduktion die Kluft zwischen sichtbaren Zeichen und dem Symbol für das Nichtdarstellbare auf, in der der Glaube bereits als Problem angelegt ist: „Die Idee ist anziehend einfach, so wie die Erfindung des Rades: Jesus Christus ist nicht das einzige Kind in der Familie, er hat einen Zwillingsbruder. Das Vorhandensein zweier Gottessöhne erklärt eine Vielzahl Unklarheiten in den Evangelien und läßt die dramatischen Umstände akzeptabler werden“ (Katalog). Augenzwinkernd klären die Arbeiten durch ständige Verdopplung den Kult im Realen auf. Nicht anders verfährt Bojadshiev mit dem Theoriekult der Postmoderne. Im Zyklus „Philosophischer Friedhof“ reihen sich die Särge von Foucault, Marx, Baudrillard, Nietzsche, Derrida, Freud und Lenin als Tafelbilder auf. Jeder Sarg trägt als Inschrift eine Titelseite ihrer Werke, die nun den Sarg versiegeln. Die Form des Gehalts ist mitbedacht worden: Marx erfährt über Hammer-und-Sichel-Dekor eine letzte Lesart, Baudrillards Ruhestätte ist von Violinenschlüsseln durchwirkt. Bei Derrida dominieren selbst im Tod noch Spiegel und „Architexturen“. Von allen bleiben nur ein Zitat – und Zweifel – zurück.

Bis 6.12., Di.–Fr. 11–13.30; 14–18, Sa./So. 11–13.30 und 14–17 Uhr.

Einigen Quälgeistern scheint die documenta auch nach ihrem furiosen Finish noch immer nicht enden zu wollen. Vor zwei Wochen wurde an dieser Stelle darüber berichtet, wie interdisziplinär agierende Kunstspontis sich einiger Kostbarkeiten aus den heiligen Hallen und weiten Auen von Kassel bemächtigt hatten, für deren Präsentation selbst die moderaten Kulturtransporter des SFB zur Sendung bliesen. Ob das Edward Hyde Kartell aus der Bautzener Straße 19 mit ihrem „Defensiven Ausstellungsaufbau“ ähnlich gleitend in die magischen Kanäle schlüpfen wird? Sie kehren das Prinzip des Kunstklaus um, und einige haben bescheidene Exponate in die Ausstellungsräume des sommerlichen Kräftemessens der Avantgarde geschmuggelt, parasitär sozusagen, jedenfalls kaum mimetisch, denn das ganze Marginalspektakel war mit Jan Hoet im Vorfeld abgesprochen. Über Sinn und Zweck dieses bekennenden Apercus informiert ein gleich mitgeliefertes Manifest, das den Zusammenhang der versteckenden Hyde-Bruderschaft und dem bösen Onkel als Kunstverwandler Mr. Hyde aufklärt. Wen es interessiert, die öffentliche Präsentation findet am 18. und 19. November im Literaturhaus, Fasanenstraße 23 statt, wahrscheinlich ohne Jekyll Hoet. Harald Fricke

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