Mit geschlossenen Augen und zugehaltener Nase...

■ Nur durch das Fernsehen kann sich Slobodan Milošević an der Macht halten

Etwas Peinliches für Slobodan Milošević, den selbsternannten Führer aller Serben, geschah auf den Straßen Belgrads: Seine an der Heimatfront aufsässig gewordenen Serben marschierten da und forderten seinen Rücktritt. Milošević jedoch reagierte schnell und entschieden: Bewaffnete Sondereinheiten der Polizei umstellten das Gebäude des Fernsehsenders Belgrad, gepanzerte Mannschaftswagen wurden ins Stadtzentrum beordert und unauffälig in den Seitenstraßen geparkt, nicht weit vom Sendegebäude entfernt. Die Kontrolle der Regierung über die Nachrichten war gesichert.

Vielleicht wirkt Milošević' Reaktion auf die Unruhe in der Bevölkerung – Resultat langsam spürbar werdender UN-Sanktionen – auf Außenstehende übertrieben. Aber im jugoslawischen Bürgerkrieg sind schon viele Schlachten um die Kontrolle des Äthers geschlagen und viele Menschenleben geopfert worden.

Während Studenten in Belgrad ihre Verachtung für das Belgrader Fernsehen demonstrierten, indem sie mit geschlossenen Augen und zugehaltener Nase am Sender vorbeizogen, kämpften bosnische Serben nahe Mostar gegen moslemische und kroatische Einheiten, um die Verstärkeranlage auf dem Berg Velez zurückzuerobern, und beschossen das Hauptgebäude des Senders Sarajevo TV.

Regierungssender Belgrad TV

Nichts ist jedoch mit der Bedeutung des Belgrader Fernsehsenders zu vergleichen: Fiele er seinen Gegnern in die Hände, wäre das Schicksal der Milošević-Regierung besiegelt. „90 Prozent der Öffentlichkeit denken, was Belgrad TV ihnen vordenkt“, sagt Stojan Cerović, Journalist beim unabhängigen Journal Vreme. Jeden Abend um halb acht sehen 3,5 Millionen Serben – mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung – die Abendnachrichten. „Das ist kein Journalismus mehr, das sind Lügen und Propaganda“, sagte mir Vlado Mareš, der bis 1990 als Redakteur der Sendung arbeitete. Heute hat er nichts mehr zu tun und bekommt nur noch sein Gehalt weiter ausgezahlt. Sein Schicksal teilen alle guten Journalisten des staatlichen Fernsehens, die, laut Veselin Simonović von der Zeitung Borba, schon lange keine Aufträge mehr erhielten. Sie sind durch unerfahrene Teams ersetzt worden, die normalerweise keine Chance hätten. Vlado erinnert sich, daß Milošević sofort nach seinem Machtantritt 1987 die Kontrolle des Senders sicherstellte, indem er Leute aus Polizei, Militär und Journalisten der Zeitschrift Kommunist einstellte. Die Positionen der Sonderkorrespondenten, die landesweit verteilt waren, wurden mit nichtprofessionellen Kräften und extremen Nationalisten besetzt. „Von da an gab es in Serbien keinen Journalismus mehr. Diese Leute machen nur Sendungen, die dem Staat gefallen“, berichtet Vlado Mareš. Jeder wirkliche Journalist würde sich weigern, so zu arbeiten.

Milošević gewann die Wahlen 1990 – bei denen das erste Mal mehrere Parteien zugelassen waren und er in den Namen seiner Partei den Zusatz „sozialistisch“ aufnahm – mit Hilfe seiner Macht über das Belgrader Fernsehen. Und er benutzte es, um einen Nationalismus anzustacheln, der Serbien inzwischen in drei Kriege geführt hat.

Vlado Mareš hält auch das niedrige Bildungsniveau der Serben für einen wesentlichen Grund der außerordentlichen Macht des Senders. Die Hälfte der Bevölkerung hat lediglich die Grundschule abgeschlossen, ganze 12 Prozent nicht einmal das. Lediglich 6 Prozent der Bevölkerung haben eine weiterführende Schule besucht, und die meisten von ihnen leben in Belgrad, einer Stadt, die sich offen gegen Milošević gestellt hat. Wie andere, ebenfalls vom Dienst suspendierte Journalisten, verbringt auch Vlado seine Zeit damit, sich mit Kollegen zu treffen und sie zu ermutigen, nicht klein beizugeben. „Sie haben Angst davor, ihre Stellung zu verlieren und ihre Familien nicht mehr ernähren zu können.“ Selbst wenn sie nicht entlassen werden, berichtet er, finden sie sich oft aus der Nachrichtenredaktion ins Unterhaltungsprogramm oder die Dokumentation verschoben.

Unabhängige Medien beschränkter Reichweite

Fernsehjournalisten, die ihre Arbeit verlieren, haben wenig andere Möglichkeiten. Es gibt nur einen unabhängigen Fernsehsender in Serbien, das kleine „Studio B“, das im obersten Stockwerk eines großen Kaufhauses sitzt. Die Leute von „Studio B“ sind Enthusiasten, denen es mitunter ein wenig an Professionalität mangelt. Doch ihr Einfluß ist gering. Man kann die Sendungen von „Studio B“ nur in Belgrad empfangen – und da ist man ohnehin schon überzeugt.

Ähnlich steht es mit dem einzigen unabhängigen Nachrichtensender, „Radio B-92“, der mit seinem winzigen Budget fast 24 Stunden rund um die Uhr Nachrichten liefert. Arbeitsplätze für arbeitslose Profis kann der Sender, der wenig Geld zur Verfügung hat und 30 Ganztags- und 120 Teilzeitkräfte beschäftigt, auch nicht bieten. Die landesweite Ausstrahlung von „Radio B-92“ wird von der Regierung verhindert, man verweigert ihnen ganz einfach die Lizenz. „Wir sind im Grunde sogar hier ein Piratensender. Eine offizielle Genehmigung zur Benutzung der Frequenz haben wir nämlich gar nicht“, sagt Veran Matić. Ursprünglich hatte der Sender aus Anlaß der Erinnerung an Titos Geburtstag 1989 eine 15tägige Genehmigung zum Senden für die Hauptstadt. Danach hat er einfach weitergemacht.

Während das Regime die dissidentische Stimme in Belgrad duldet, ist die Erweiterung seiner Sendekapazität bis in alle Winkel der Republik eine ganz andere Sache. „Sie würden uns den Sender wahrscheinlich wegnehmen“, befürchtet Veran, der das Risiko des Verlusts einer 18.000-Dollar-Ausrüstung nicht eingehen will.

Selbst bei den Printmedien gibt es wenig Alternativen zu den staatlich kontrollierten Publikationen. In Serbien gibt es nur eine einzige völlig unabhängige Tageszeitung, nämlich Borba. Ihre 200 Journalisten können schreiben, was sie wollen. „Unsere Journalisten sind frei“, sagt Veselin. „Wir haben es zu einer Position gebracht, wo der Staat uns nichts anhaben kann.“ Aber er gibt auch zu, daß eine Zeitung mit einer Auflage von 50.000 naturgemäß wenig ausrichten kann. Die alte Tageszeitung Politika, die das Regime zu einem Staatsunternehmen zu machen versucht, damit es den Direktor und das Management bestimmen kann, hat mit ihrer Leserschaft von 200.000 einen wesentlich größeren Einfluß auf die öffentliche Meinung. „Der Staat manipuliert die Menschen, wie es ihm gerade paßt“, meint Veselin, obwohl sogar die Belegschaft der Politika im August gegen die zensierenden Eingriffe der Regierung streikte.

Schlüssel zur Demokratie

Die einzige andere unabhängige Zeitung von einiger Wichtigkeit ist die hoch angesehene Wochenzeitung Vreme. Alles andere wird entweder direkt oder indirekt vom Staat gesteuert. Ivan Radovanić, der erst vor kurzem zu Vreme stieß, meint, daß Journalisten nach wie vor die Wahl haben, ob sie der Regierung oder der Pressefreiheit dienen wollen. „Das ist zu einer äußerst persönlichen Entscheidung geworden. Jeder, der mit Integrität weiterarbeiten will, kann es auch. Es gibt eine regelrechte Welle neuer, wirklich professioneller Journalisten.“ Und natürlich gibt es auch den harten Kern derer, die Milošević bis zum bitteren Ende dienen werden. „Wenn er fällt, droht ihnen eine Verurteilung als Kriegsverbrecher. Unter anderem wegen Volksverhetzung“, so Ivan Radovanić. „Sie werden ihn mit allen Mitteln verteidigen; sie machen vor nichts halt.“

Der jugoslawische Ministerpräsident Milan Panić wußte wohl nicht so genau, was er tat, als er nach seiner Rückkehr aus Kalifornien schwor, er würde Milošević' Zugriff auf „Belgrad TV“ lockern. Viele sind der Überzeugung, daß dieser Sender der Schlüssel zur Demokratisierung Serbiens ist, daß er jedoch erst freigegeben wird, wenn Milošević stürzt. Veselin prophezeit: „Milošević hat in den fünf Jahren seiner Macht drei Kriege herbeigeführt. Er wird nicht friedlich gehen. Ohne einen Bürgerkrieg wird sich Serbien nicht von ihm befreien können.“ Petar Hadji-Ristić

Petar Hadji-Ristić ist freier Journalist in London.