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Byrons „Geister“ nicht erlaubt

■ Auch Übersetzungen wurden in Albanien zensiert

Mehr als vier Jahrzehnte lang existierte Albanien als feste Burg ideologischer Standhaftigkeit, eine Gefängnisinsel unter kommunistischen Nachbarn und das isolierteste Land Europas. Unter Enver Hoxhas striktem Regime wurde im Laufe der Jahrzehnte nach dem Krieg jeder politische Dissens blutig „herausgesäubert“. Stimmen des Widerstands waren sowohl in der Politik wie auch in der Literatur zu einem Untergrunddasein verurteilt, und aus Angst vor willkürlichen und brutalen Bestrafungsaktionen kollaborierten nicht wenige Schriftsteller und Übersetzer mit der gegen Einheimisches und Ausländisches gleichermaßen angewendeten Zensur.

Ein Hauptcharakteristikum albanischer Literatur seit den vierziger Jahren ist ihr nahezu vollständiger Mangel an Kontakt mit der zeitgenössischen Literatur anderer Länder – außer der russischen. Reisen durften nur einige wenige Privilegierte, die als bedingungslos loyal galten, und dabei spielten ihre literarischen Lorbeeren die geringste Rolle: Wer als Schriftsteller reisen und publizieren wollte, mußte sich vor allem mit dem Sigurimi, Hoxhas riesigem Sicherheitsapparat, ins Einvernehmen setzen. Er hatte das letzte Wort über die Schriftsteller und ihre Werke.

Die Mehrheit der albanischen Schriftsteller war also völlig isoliert von der Weltliteratur und ihrem literarischen Kontext. Eine fremde Sprache zu lernen, kostete in Albanien enorme Anstrengungen, und außerdem war es gefährlich. Wer beim Englisch- oder Italienischsprechen ertappt wurde, mußte mit einer Anklage als Agent des jeweiligen Landes rechnen. Was an albanischer Literatur dennoch entstand, mußte sich unter diesen Bedingungen entwickeln.

Die Unkenntnis der Übersetzer in bezug auf die Kultur des Landes, dessen Literatur sie übersetzen, verstärkte unsere Isolation noch. Mit Ausnahme des ausgezeichneten Kadare-Übersetzers ins Französische, Yusuf Vrioni, der in Frankreich aufwuchs, hatte kaum ein Übersetzer Kontakt mit dem Land, aus dem „seine“ Literatur kommt. Die Folgen sind spürbar: In ihren Übersetzungen gibt es keine linguistischen oder kulturellen Nuancen, und man hat beim Lesen nicht den Eindruck, es mit einer lebendigen Sprache zu tun zu haben.

Auch albanische Leser wissen kaum etwas über ihre eigene Literatur. Die Anthologien, die angeblich die besten Schriftsteller des Landes regelmäßig vorstellten, enthielten nur die, deren Politik und Ideologie der Partei wichtig waren und von denen Loyalität erwartet werden konnte. Sie spiegelten daher weniger das kulturelle als das ideologische Klima Albaniens. Mit der Dichtung sah es besonders schlimm aus: Sie bestand nur aus offiziellem Gelobe, unkritisch und flach. Um sich als Schriftsteller zu entwickeln, muß man frei sein von politischer Repression und Armut. Unter Hoxha jedoch lebten wir in verzweifelter Armut– natürlich durfte auch das in der „offiziellen Literatur“ nie erwähnt werden.

Dissidentenliteratur

Die beste Dissidentenliteratur wurde in den letzten 50 Jahren in der Regel von veröffentlichten Autoren produziert, auch wenn sie ihr Denken in den engen Rahmen des sozialistischen Realismus pressen mußten. Daneben jedoch gibt es noch eine andere Literatur: dissidentisches Schreiben, das in den Gefängnissen praktiziert wurde. Einer seiner führenden Vertreter ist Kasem Trebeshina, der im März 1991 freikam. Er ist inzwischen eine führende Gestalt unserer Kulturszene, aber seine Texte kenne ich immer noch kaum, und die breite Öffentlichkeit kennt sie erst recht nicht: Sein Werk ist bisher fast gänzlich unveröffentlicht geblieben. Trotz der insgesamt 23 Jahre, die er in Gefängnissen verbrachte, hat Trebeshina gegen jede Wahrscheinlichkeit überlebt. Er entstammt einer Familie, die mit dem inneren Kreis des KP- Zentralkomitees persönlich eng verbunden war und wurde daher von Mehmet Shehu, Enver Hoxhas Stellvertreter, bis zur Säuberung und seinem vermutlichen Selbstmord 1974, und später von Ramiz Alia geschützt. Sein Überleben hat seinen zweiten Grund in der Tatsache, daß die Schriftstellergewerkschaft seine Arbeiten nicht besonders hoch einschätzte. Sie meinten, er sei als Schriftsteller nicht von besonderer Bedeutung, und die Sigurimi-Leute, die für Kunst und Literatur zuständig waren, kümmerten sich daher gar nicht erst um ihn. Hätten sie ihn für wichtig gehalten, wäre Trebeshina heute nicht mehr am Leben.

Viele Menschen schrieben in den Gefängnissen, und viele kamen in ihnen um. Niemand weiß, wo ihre Texte jetzt sind, vermutlich wurden sie von den Bewachern konfisziert und vernichtet. Unter den entlassenen politischen Gefangenen ist viel die Rede von einem Roman, den Elham Hadji- Ademi angeblich geschrieben hat, und auch Kin Dushi, der vor seiner Verhaftung im Zuge der Säuberungen in den Siebzigern schon als Autor und Dissident sehr bekannt war, soll im Gefängnis viel geschrieben haben. Kin Dushi jedoch wurde in der Haft als Mensch und Schriftsteller völlig zerstört.

Zensurreglement

Strikte Regeln galten nicht nur für Schriftsteller, sondern auch für Übersetzer. Ich arbeitete viele Jahre als Lyrikübersetzer für den Naim Frasheri Verlag. Selbst aus den Klassikern wie Heine, Puschkin und Shelley mußte man in der albanischen Fassung ganze Passagen herausschneiden, von denen dann natürlich behauptet wurde, es habe sie auch im Original nie gegeben... Alle Übersetzungen durchliefen mehrere Kontrollstationen: Was ausgelassen werden sollte, wurde durch den Oberzensor der Übersetzungsabteilung markiert, der dafür angestellt war, über die ideologische Reinheit der Texte zu wachen. Zusätzlich gab es ohnehin Richtlinien, die alle Übersetzer kannten und die sie, um Zeit und Arbeit zu sparen, selbst schon anwandten und dem Zensor die Arbeit ersparten. Denn hier lauerten durchaus Gefahren. Auch jemand, der etwas nicht mit der herrschenden Ideologie Übereinstimmendes nur übersetzt hatte, mußte mit Haft und Gefängnis rechnen. Als ich von der Schriftstellergewerkschaft beauftragt wurde, Byron zu übersetzen, bedeutete man mir, daß Passagen, die Byron dem „Ersten Geist“ und „Zweiten Geist“ zugedacht hatte, als „religiös“ einzuschätzen waren.

Alle, aber auch wirklich alle Literatur in Albanien wurde auf politisches und religiöses Übertretungspotential abgeklopft. Der Sekretär der Partei hatte hiermit, formal gesehen, nichts zu tun. Der Verlag hatte seinen eigenen Direktor und Chef der Literaturabteilung; Entscheidungen wurden schriftlich einzig vom Direktor abgesegnet. Aber dennoch ging nichts ohne die ideologische Zustimmung des Parteisekretärs durch. Nachdem ein Skript redaktionell bearbeitet worden war, mußte es weitere Kontrollen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei durchlaufen. Dadurch wollte man verhindern, daß ein ideologischer Fehler eines Direktors bis zur Veröffentlichung des Buches unentdeckt bleiben könnte. Wurde der Text auf dieser Ebene durchgelassen, bekam er ein „Visum“ von der Ideologieabteilung des Zentralkomitees für Literatur und wurde zur Druckerei geschickt.

Dieses letzte Komitee bestand in der Regel aus Leuten von der Schriftstellergewerkschaft – schließlich waren sie es, die zur Überwachung der ideologischen Reinheit der Literatur in Albanien angestellt worden waren. Tatsächlich waren sie die wirklichen Zensoren und außerordentlich mächtig.

Erscheinungshürden

Der Befehl zum Einzug eines Buches kam entweder vom Zentralkomitee oder anderen Kontrollorganen wie dem Bildungsministerium, der Sigurimi höchstselbst oder vom Pressedirektorat beim Zentralkomitee, dem Ministerium der Ministerien. Es reichte völlig, wenn auch nur eine dieser Institutionen ein Zeichen gab, und das Buch war gestorben.

Der prominenteste Schriftsteller, dessen Büchern dies manchesmal passiert ist, war Ismail Kadare, vor allem seinem „Palast der Träume“ und „Zeit der Drachen“. Seine Kurzgeschichte „Die Nacht und der Mond“ wurde eingezogen, obwohl sie bei ihrer Erstveröffentlichung 1986 sehr beeindruckt hatte. Er war für die Behörden immer ein problematischer Autor. Sobald er wieder etwas produzierte, machten sie sich auf neue Probleme gefaßt. Auch „Ein Name an der Kreuzung“ von Petru Marko wurde nach mehreren Tagen in den Buchhandlungen plötzlich doch noch zurückgerufen.

Hatte ein Buch alle Hindernisse überstanden, gab es immer noch die allerletzte Hürde zu überwinden. Die mächtigste Institution, das Pressedirektorat des Zentralkomitees, hatte einen direkten Draht zur neuesten ideologischen Entwicklung – und die wurde natürlich von Enver Hoxha bestimmt, dem ersten und letzten Richter, Zeus auf dem albanischen Olymp. Er war der erste Wissenschaftler, Mathematiker, Soziologe und Literaturkritiker des Landes. Selbst wenn ein Buch alle anderen Zensurinstanzen heil überstanden hatte, an ihm jedoch scheiterte, wurde eine Veröffentlichung ohne Diskussion verboten.

Wenn es um prominente Schriftsteller ging, nahm sich Hoxha in die Pflicht, alles – oder wenigstens das Wichtigste – von ihnen selbst zu lesen. Ihm wurden ausgewählte Passagen vorgelegt, über die er urteilte – und in vielen Fällen dabei auf seine „Experten“ zurückgriff. Die Folge war, das viele bereits publizierte Bücher, einschließlich ausländischer Literatur, in Bibliotheksarchiven verschwanden. Meistens jedoch wurde die gesamte Auflage eingestampft und als recyceltes Papier für Verpackungskartons verwendet.

Früher hatte es einen internationalen Buchladen in Tirana gegeben, der bei uns nur „der russische Buchladen“ hieß, da alle Literatur, aus welchem Land sie ursprünglich auch kam, dort nur auf russisch zu haben war. Nach dem Bruch mit dem Ostblock 1964 wurde der Laden geschlossen. Zur Wiedereröffnung wurden Enver Hoxhas gesammelte Werke in allen Sprachen feilgeboten, samt einiger Bücher der wenigen akzeptierten Autoren, darunter Ismail Kadare und Dritero Agolli (derzeit Vorsitzender des Schriftstellerverbandes), in englischer, französischer und deutscher Übersetzung. Ausländische Literatur jedoch war in Albanien nicht mehr zu haben. Perikli Yargoni

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