: Walter Benjamin
■ betr.: "Kein Geld aus Bonn", taz vom 16.10.92
betr.: „Kein Geld aus Bonn“ (Kurzmeldung), taz vom 16.10.92
[...] Das darf ich nicht durchgehen lassen: „...Der von den Nationalsozialisten verfolgte jüdische Publizist Walter Benjamin nahm sich 1940 in Port Bou das Leben, als ihm die spanischen Behörden auf der Flucht die Einreise verweigert hatten.“
Das erste und Wichtigste. Walter Benjamin war deutscher Publizist, nicht jüdischer Publizist. Im März 1933 verläßt er Deutschland, um den unmittelbaren wirtschaftspolitischen Folgen der „Machtergreifung“ durch die NSDAP zu entgehen, die unter anderem die Vernichtung der sozialen Existenz progressiver, der NSDAP konsequent kritisch gegenüber eingestellter Publizisten einleiteten.
Das zweite. Der nationalsozialistische deutsche Staat, vertreten durch den Reichsführer der SS Heinrich Himmler und die Gestapo, hat mit Hilfe der deutschen Botschaft in Paris Walter Benjamin 1939 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, und zwar nicht weil er von „Juden abstammte“, sondern weil er bei der Zeitschrift Das Wort, Moskau, 1936 angeblich Mitarbeiter war. Es wurde sogar von der Gestapo extra betont, daß der Ausbürgerungsantrag sich nicht auf seine geschiedene Frau, die laut Gestapo ebenfalls „jüdischer Abstammung“ war, erstrecke.
Dennoch wurde er als Deutscher von der französischen Polizei in Paris nach Kriegsausbruch interniert und kam erst aufgrund von Interventionen von Adrienne Monnier und Jules Romaines und anderen frei. Im Juni 1940 flüchtete er vor den siegreichen deutschen Truppen, die am 14.6.1940 in Paris einmarschierten.
Es waren also nicht nur die vier bis sechs Millionen Mitglieder der NSDAP, sondern vor allem der deutsche Staatsapparat dieser Zeit und die deutsche Wehrmacht, deren Angehörige größtenteils keine NSDAP-Mitglieder waren, die Walter Benjamin und andere verfolgten.
Das dritte und das Schlimmste. [...] Selbst wenn die dpa-Meldung original so war wie der oben angegebene Auszug, gab es keine Verpflichtung für die taz, die Meldung so abzudrucken. Damit werden Deutsche, nur weil sie jüdischer Herkunft sind, auch heute noch, 57 Jahre nach den Nürnberger Gesetzen, ausgegrenzt.
Wenn der Haushaltsausschuß des Bundestages das nicht so sehen würde, wie es in der dpa-Meldung in der taz zum Ausdruck gebracht wird, sondern das geplante Denkmal in Port Bou als Möglichkeit begreifen würde, die Deutschen im Exil zu ehren und die Akzeptanz für die Maastrichter Verträge in Europa, besonders in Frankreich, zu erhöhen, wäre dem Haushaltsausschuß eine Empfehlung, Geldmittel für das Denkmal nicht abzulehnen, sondern bereitzustellen, sicher als ein dringend nötiger Schritt im Interesse der Wahrung der Würde und des Ansehens Deutschlands vorgekommen. [...] Thomas Kaemmel, Halle/Saale
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