Verwirrung im Geschlechterspiel

Überlegungen zu Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“  ■ Von Ulrike Baureithel

Feminismus zwischen staatlicher Gleichstellungspolitik, selbstbezichtigendem Mittäterschaftsdiktum und internem Rassismusvorwurf: Nach zwei Jahrzehnten Frauenbewegung ist aus dem theoretischen und praktischen Torso des vielversprechenden Projekts Feminismus das Kollektivsubjekt „Frau“ einigermaßen lädiert hervorgegangen. Als Kategorie politischer Selbstverständigung ist es inzwischen ebenso verdächtig geworden, wie es sein Erlösungsversprechen an die Gesellschaft aufgekündigt hat.

So scheint es, als ob die seit den siebziger Jahren entwickelten „Differenztheorien“, die die politische Kategorie „Frau“ theoretisch absichern sollten, für die „Politik des Ernstfalls“ wenig taugen. Die Behauptung einer genuin „weiblichen“ Identität hatte sinnstiftende Funktion, denn sie erlaubte, sich von einer politisch kompromittierten und moralisch disqualifizierten Männerwelt abzugrenzen. Aus dem sich abzeichnenden Argumentationsdilemma – einerseits die „ganz andere Erfahrung“ als Substanz zu fixieren, andererseits auf die Gemachtheit und damit Veränderbarkeit des Geschlechts zu verweisen – rettete sich vor allem die amerikanische Feminismustheorie mit dem Sex-gender- Konzept, das zwischen biologischem und sozial erworbenem Geschlecht unterscheidet.

Als das Begriffspaar mit zeitlicher Verzögerung hier Eingang fand, schien der empirische Befund der zwei Geschlechter selbst radikalen Theoretikerinnen unabweisbar. Strittig war nur der Anteil, den die Kultur an ihrer Zurichtung leistete. Die Frage nach der Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit wurde erst im Rahmen der poststrukturalistischen Theorie laut: nach Ursprung und Substanz zu fahnden, ging es, vor allem in der Nachfolge Foucaults, um die Suche nach den regulativen Verfahren, die das Geschlecht als Effekt diskursiver Tätigkeit konstruieren. Insofern ist es kein Zufall, daß es ausgerechnet wieder eine Amerikanerin ist, die bei uns diesen Paradigmenwechsel einleitet. Seitdem Judith Butlers „Gender Trouble“ („Das Unbehagen der Geschlechter“) in deutscher Sprache erschienen ist, wird ihre Theorie euphorisch rezipiert.

Eine vergnügliche Lektüre ist dieser zweite in der „gender-studies“-Reihe des Suhrkamp-Hauses erschienene Band allerdings nicht, und es bedarf schon entschiedener Erkenntnislust, um sich durch den begrifflichen Wust, zumal in der wenig eleganten Übersetzung von Katharina Menke, hindurchzuackern. Es geht Judith Butler einerseits um die theoretische Widerlegung des Sex-gender- Konzepts. Die politische Provokation des Buches besteht indes zweifelsfrei in ihrem Generalangriff gegen den „Fundamentalismus“ einer um kollektive Identität bemühten Frauenbewegung, die mit ihrem stabilen Begriff von Geschlechtsidentität der herrschenden Zwangsheterosexualität den Takt schlage.

Sind Frauen das ganz „andere“, das partikular gedachte „Negativ“ zum männlich Universellen wie bei Simone de Beauvoir? Sind sie das per se Unrepräsentierbare in der männlichen Bedeutungsökonomie, das im Gewand der Andersheit männlich auftritt, wie Luce Irigaray annimmt? Oder sind sie überhaupt das „einzige“ Geschlecht, weil nur das Weibliche als „Geschlecht“ markiert sein kann (Monique Wittig)? Schon die Fragestellung sei falsch gestellt und führe in die Sackgasse, denn sie setze ein „So-Sein“, eine „Wahrheit des Sexus“ voraus, so Butler. Dieses Festhalten an der „Metaphysik der Substanz“ durchziehe in der einen oder anderen Form sämtliche Differenztheorien, die letztlich alle vom „Traum der Symmetrie“ geleitet seien. Dagegen hält Butler fest, daß Geschlechtsidentität weder „natürliche“ Anlagen oder einen psychologischen „Kern“ verberge. Sexualität sei vielmehr als Effekt zu verstehen, der durch die diskursiven Verfahren der Kultur erzeugt werde, ein künstliches System, dem keine „natürlichen Triebe“ vorgängig sind, dem der Leib vielmehr Oberfläche und Bühne für die kulturellen Einschreibungen bereitstelle.

Aber wie muß man sich das soziale Konstrukt „Geschlecht“ nun vorstellen? Aus der transsexuellen Subkultur ist bekannt, daß das anatomische Geschlecht mit dem sozialen Geschlecht, der Geschlechtsidentität nicht übereinstimmen muß. Daß es zwischen „männlich“ und „weiblich“ kein „Dazwischen“ gibt, ist eine kulturelle Überhöhung, die den Status des Natürlichen hat. In der Tat stehen alle Menschen unter dem Druck, daß sie sich dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen (lassen) müssen. Als Akt der Selbst- und Fremdwahrnehmung wird diese Zuordnung täglich im Denken und Handeln als unendliche Wiederholung erneuert.

Die Philosophin Butler sucht dagegen nach psychoanalytischen Referenzen. Sie bestimmt, in Anschluß an Freuds „Trauer und Melancholie“, die Geschlechtsidentität als „melancholische Struktur“, bei der das Objekt des Begehrens einverleibt, aber keine wirkliche Trennung von ihm vollzogen wird. Das kulturgründende „Verbot“ (Inzesttabu/Homosexualität) führe zu einer „Verschiebung“ des Begehrens. Butler skizziert diesen Prozeß, an dessen Ende die „heterosexuelle Melancholie“ steht, als „Drama“, bei dem das Verdrängte stumm bewahrt wird und die Heterosexualität als Natürliches erscheint. Dem Ödipusdrama, so Butlers Folgerung, sei also das Verbot vorgängig. Durch die melancholische Einverleibung des libidinös besetzten Objekts produziere das Gesetz nicht nur das System der Zwangsheterosexualität, sondern auch das Begehren, das verdrängt werden soll, ohne daß beides zu einer Synthese gebracht werden könnte.

Damit widerspricht Butler der psychoanalytischen Auffassung primärer Libido-Anlagen und erteilt all jenen „Auswegen“ eine Absage, die aus dieser Immanenz ausbrechen möchten. Daß es nichts „jenseits des Gesetzes“ gibt, dessen ideale Einlösung aber real gar nicht möglich ist, weil sich das „Original“ einer „geglückten“ heterosexuellen Geschlechtsidentität bei genauer Betrachtung als mißglücktes „Imitat“ einer Verdrängungsleistung offenbart – darin sieht Butler eine Möglichkeit immanenter Subversion, die durch „parodistische“ Wiederholung eine „Verwirrung der Geschlechter-Binarität“ anstifte.

„Das Gesetz“ der heterosexuellen Reproduktionsökonomie lastet schwer auf dem Handlungsvermögen der Subjekte, die zur Subversion aufgerufen sind. Obwohl Butler dies explizit von sich weist, hat sie der alte soziologische Dualismus von Determinierung und subjektiver Willensleistung eingeholt. Ihr „Gesetz“ entfaltet in seiner interaktiven Herstellung eine Eigendynamik, der gegenüber die handelnden Individuen in ihrem Bemühen um „Umwertung“ und „Re-Definition“ gefesselt erscheinen.

Auf über 200 Seiten findet sich bei Butler nicht ein einziger Hinweis auf die realen „Folgen“ der geschlechtlich-reproduktiven Potenzen. Butlers Anliegen ist es, „die Biologie“ ihres Naturalismus zu berauben. Zu bedenken wäre allerdings, ob die Ignoranz der Amerikanerin gegenüber diesem Aspekt weiblicher Erfahrung nur ihrem bornierten Blick auf das diskursive System entspringt, oder nicht selbst „Effekt“ einer Situation ist, in der diese Potenz stillschweigend gentechnologisch „abgewickelt“ wird.

Noch problematischer erscheint der Lösungsansatz der „vervielfältigten Identitäten“ („es gibt so viele Geschlechter wie Individuen“) auf der Ebene feministischer Politik. Die „Zertrümmerung des Subjekts“, mit der die poststrukturalistische Theorie auf das Phantasma (männlich-) westlicher Identitätskonstitution geantwortet hat, treibt in der postfeministischen Theorie eigenartige Blüten. Wie skizziert, schlägt Butler (in Anlehnung an subkulturelle Praktiken der Transvestiten) das „Spiel mit den (Geschlechts-) Identitäten“ vor, das die kulturell eingeübten und wiederholten Bezeichnungsrituale unterlaufen und irritieren soll. Die Travestie mit der Identität setzt aber Subjekte voraus, die sich dieses Spiel leisten können, so daß es „Spiel“ bleibt und nicht zur Katastrophe wird. Die Folgen destabilisierter Identität (nicht zuletzt der männlichen) lassen sich zum Beispiel auf den Krawallfeldern von Rostock und anderswo besichtigen.

Sicher liegt diese Konsequenz nicht in Butlers Absicht. Aber ihr überspitzt zu Ende gedachtes Konzept führt nicht nur seine Unpraktikabilität vor Augen, sondern auch ein gerüttelt Maß an politischer Verantwortungslosigkeit. Denn so scharfsinnig Butlers Kritik an den feministischen „Selbsterweiterungstheorien“ ist, so wenig läßt sich übersehen, daß sich ihr eigener Vorschlag lückenlos einfügt in den allgemeinen Individualisierungstrend. Sie liefert die Vorlage für die Selbstrechtfertigungen einer weiblichen Klientel, die sich an Hochschulen und anderswo im isolierten Hürdenlauf um Positionen der Illusion hingeben darf, daß die Aufkündigung weiblicher Solidarität einen emanzipatorischen Etappensieg darstellt. Wer bei diesem Geschäft mitunter sein Geschlecht ins Spiel bringen muß, entlastet sich mit dem Wunsch, das sei alles nur „Spiel“. Die Butlersche Verklammerung von „Identität“ oder „Interesse“ denunziert all jene Widerstandsakte, die sich mit dieser Taktik individualistischer „Selbsterweiterung“ nicht begnügen.

Judith Butler: „Das Unbehagen der Geschlechter“. Suhrkamp- Verlag, 1991, 14DM