: UNO-Protektorat Bosnien-Herzegowina
■ Viele Friedensgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien fordern auch die militärische Intervention für die Menschenrechte/ Auch die Linke muß umdenken
Was soll eigentlich noch geschehen, bevor die Menschen begreifen, was in Bosnien-Herzegowina vor sich geht? Diese Frage stellt sich für die Wenigen in der Bundesrepublik, die sich angesichts des Massenmords engagieren und weitgehend auf taube Ohren stoßen. Die ethnischen Säuberungen sind eine „Ausprägung des Rassismus, die jedes Element der Kultur und namentlich die kulturelle Vielfalt zerstört“, heißt es in einer Lagebeurteilung der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) vom Donnerstag. Weit über eine Million Menschen sind vertrieben worden, Gefangenen- und Konzentrationslager sind errichtet, Menschen werden von rechtsradikalen Nationalisten ermordet, allein aus dem Grund, weil sie zu einer anderen ethnischen Gruppe gehören. Die Konstitution ethnisch homogener Nationalstaaten, wie sie nun nicht nur in Serbien, sondern auch in Kroatien propagiert wird, bildet den Hintergrund für diese Politik.
Denn nicht nur die serbischen verbrecherischen Führungseliten wollen ihre ethnisch reinen Gebiete. Mit der Aufforderung des kroatischen Präsidenten Tudjman an die bosnische Regierung, vom Konzept der multikulturellen bosnischen Gesellschaft abzurücken und selbst ein ethnisch homogenes muslimanisches Gebiet zu fordern, hat er sich nun ganz offen auf die Denkformen der serbischen Nationalisten eingelassen.
Die Grundfrage ist, ob die zivilisierte Welt bereit ist, die durch diese „faschistische“ Politik geschaffenen Tatsachen anzuerkennen. Noch lavieren EG und UNO in dieser Frage. Das erbärmliche Bild, das die Unterhändler Vance und Owen bei den Verhandlungen mit den Kriegsparteien in Bosnien- Herzegowina abgegeben haben, ist auch ein Resultat der unklaren Haltung der politischen Weltöffentlichkeit. Anstatt mit Nachdruck die Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens zu verteidigen, wurde von diesen Unterhändlern ein Kompromißvorschlag erarbeitet, der, indem er prinzipiell die Aufteilung des Landes befürwortet, den rechtsradikalen Nationalisten in die Hände spielt. Daß die serbischen Nationalisten die Verhandlungen überhaupt nicht ernst nehmen und weiterhin die Doppelstrategie verfolgen, den Krieg offensiv fortzuführen und gleichzeitig zu verhandeln, hat darüber hinaus den gesamten Verhandlungsprozeß entwertet.
Der damit verbundene Prestigeverlust für die Internationalen Organisationen ist noch gar nicht abzuschätzen. Denn würde den Nationalisten nachgegeben, wäre ein Präzedenzfall geschaffen, wie durch einen Krieg nationalistisch- chauvinistische Träume realisiert und letztlich auch noch durch die internationale Gemeinschaft abgesegnet würden: Rechtsradikale in der Slowakei, Ungarn, Rumänien, der Ukraine, Rußland, dem Kaukasus würden Auftrieb für ihre expansionistischen und chauvinistischen Ideen erhalten. Weitere Kriege, über den Balkanraum hinaus, könnten die Folge sein. Aber auch wenn man nicht so schwarz sieht, würde der Sieg der Nationalisten in Ex-Jugoslawien zu einer Stärkung des Rechtsradikalismus in den westlichen europäischen Ländern führen.
Angesichts der zögerlichen Haltung der Regierungen, mit Nachdruck für die fundamentalen demokratischen Prinzipien und das Völkerrecht einzutreten, ist ein politisches Vakuum entstanden, in dem die beiden Hauptkontrahenten im bosnisch-herzegowinischen Krieg in die Lage versetzt werden, in bilateralen Verhandlungen einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Sanktionierten die internationalen Gremien dann diesen „Friedensschluß“, würden die inzwischen begangenen Verbrechen auch noch sanktioniert.
Was ist also zu tun? Der Krieg und die Verbrechen in Bosnien- Herzegowina sind für die weitere politische Entwicklung vor allem in Europa zu wichtig, als daß ihre Behandlung allein den Regierungen und der Diplomatie überlassen werden dürfte. Es ist niemals zu spät, eine breite politische Bewegung zu entwickeln, die Druck erzeugt, um humane politische Lösungen anzustreben. Vertreter der Friedensbewegungen aus Ex-Jugoslawien haben schon im September gefordert, Bosnien-Herzegowina zu einem UNO-Protektorat zu machen. Alle in diesem Gebiet operierenden Militäreinheiten seien von Friedenstruppen zu entwaffnen.
Im Klartext: Viele Friedensgruppen aus Ex-Jugoslawien fordern, den Auftrag der UNO-Truppen auszuweiten, also die militärische Intervention in Bosnien-Herzegowina zum Schutze der Menschenrechte. In einem von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ diese Woche verbreiteten Appell fordern einige Dutzend Organisationen (Mütter für den Frieden, Ärzte für den Frieden, kirchliche Institutionen etc.) aus Bosnien und Kroatien ebenfalls die sofortige Aktivierung von Friedenstruppen. Nicht nur die UNO, sondern auch die Nato sollten aktiv werden, um die „Konzentrationslager, Gefängnisse und Arbeitslager zu schließen“, die kämpfenden Parteien zu entwaffnen, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat zu gewährleisten. In einem Appell einer Berliner Friedensgruppe wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich in den internationalen Gremien für ein UNO-Protektorat Bosnien-Herzegowina einzusetzen.
Noch immer fällt es vielen Menschen schwer, den Einsatz auch militärischer Mittel für die Durchsetzung der prinzipiellen Werte gesellschaftlichen Zusammenlebens zu befürworten. Es sei durchaus zugegeben, daß der Einsatz militärischer Mittel nicht unmittelbar zum Frieden führt. Wir befinden uns aber an einer politischen Scheidelinie: das Engagement für Menschenrechte und Demokratie muß unter diesen Umständen neue Wege gehen. Erich Rathfelder
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