: Kaffee-Ersatz aus dem Urwald
■ Guarana: Ein Aufputschmittel macht Karriere in Hamburgs Szene
: Ein Aufputschmittel macht
Karriere in Hamburgs Szene
Nachdem Designerdrogen und Brainfood die Köpfe und Bäuche der HedonistInnen befriedigt haben, gilt jetzt Guaraná als das Konsummittel des Trends. Vom Alternativ-Shop breitete sich die anfänglich als Droge deklarierte Substanz flugs aus und gelangte als clean verpacktes Pulver, als Kapsel oder als Fläschchen sowohl in Naturkostläden als auch in seriöse Apothekenregale. Besonders hohen Absatz findet das Aufputschmittel in den In-Diskotheken Hamburgs.
Dort steht die medizinoid aussehende Ampulle direkt neben Wodka und Bailey's. Der angefangene Abend läßt sich mit durchschnittlich fünf Mark und einem großen Schluck bis zu sechs Stunden verlängern, in denen eine erhöhte Konzentrationsfähigkeit und Wachheit erlebt werden. Auf den „Kick“ und die Bewußtseinserweiterung wartet man jedoch vergebens — die wirksame Substanz des Pflanzenextrakts besteht ausschließlich aus Coffein. Deshalb konnte das bittere Aufputschmittel trotz Anstrengung staatlicher Stellen bislang nicht unter das Betäubungsmittelgesetz gestellt werden.
Natürlich ließe sich ein ähnlich energiesteigernder Effekt auch durch viele Tassen Kaffee erreichen. Doch der Vergleich hinkt etwas, denn nur gut ein Drittel der in der Kaffeebohne enthaltenen Substanzen konnten bislang chemisch und pharmakologisch genauestens analysiert werden. Im Klartext: Millionen von BundesbürgerInnen trinken morgens eine Flüssigkeit, deren Bestandteile zum großen Teil immer noch unbekannte Wirkungen zeigen könnten. Guaraná-Fans können jedoch von einem „aufspeedenden“ Effekt berichten, ohne gleich einen Kaffee- Quellbauch oder Magenbeschwerden hinnehmen zu müssen.
Die brasilianischen Indios wissen
1die hauptsächlich im Amazonasgebiet heimische Lianenfrucht schon seit Jahrhunderten zu schätzen. Ursprünglich wurden die Samen zu Stangen gepreßt und wie Kautabak benutzt. Dabei sorgte der hohe Anteil an Coffein bei langen Wanderungen ohne Nahrung für die erforderliche Energie und das Durchhaltevermögen. Heute wird der
1pflanzliche Anreger Nahrungsmitteln des täglichen Gebrauchs beigemischt, die hellbraune süßliche Limonade namens „Guaraná“ wird von brasilianischen Kindern besonders gerne getrunken. Für europäische Gaumen ist eine Geschmacksveredlung ebenfalls unumgänglich. Das bittere Pulver wird in verschiedenen Aromamischungen angebo-
1ten: Der 15jährige kauft „einmal Vanillje“, der Mittfünfziger bevorzugt „Kirsche“. Als besonders beliebt bei Fernfahrern gilt das als „Guaraná-Quick“ verkaufte Fläschchen, das 16 Prozent Muskateller enthält. „Wenn es Guaraná früher in der Schule gegeben hätte“, sinniert die Verkäuferin, „das wäre toll gewesen.“ Annette Bolz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen