: Diamantenfieber in Angola
Schürfer und Glücksritter bringen das letzte Rohstoffkartell der Welt ins Wanken/ Einbußen für südafrikanischen Konzern/ Grabungen verwandeln das Cuango-Tal in eine Mondlandschaft ■ Aus Cafunfo Willi Germund
Cafunfos Elendsviertel aus Lehmhütten, stinkenden Abfallhaufen und Moskito-verseuchten Wasserlachen haben die Einwohner selbst „Bala-Bala“ (portugiesisch für Kugel-Kugel) getauft. „Havemos de voltar“ heißt die beliebteste Diskothek gleich am Marktplatz, „wir müssen wiederkommen“. Wenn die Musik zu laut wird, flackern die wenigen violetten Neonleuchten. Über der Theke der dachlosen Kneipe mit den Wellblechwänden mahnt ein kleiner weißer Zettel die Gäste: „Achtung, das Abfeuern einer Schußwaffe kann den Tod einer Person verursachen.“ Schwere Geländewagen fahren spritzend durch die vom Regen aufgeweichten schlammigen Gassen. Ein Betrunkener wird auf dem Marktplatz zusammengeschlagen. Sofort suchen die Umstehenden Deckung. „Hier schießt jeder so schnell, da muß man aufpassen“, erklärt Paul seinen beherzten Satz hinter die Adobe-Wand.
Der drahtige junge Mann nennt sich einen „Bruder“ von Ivan. Und dessen Hütte kennt jeder in Bala- Bala. Der verschachtelte Lehmbau liegt versteckt hinter einem hohen Wellblechzaun. Ein teurer Jeep und ein etwas betagter BMW verstellen die Einfahrt. In einer Ecke brummt ein moderner Generator, der den Strom für eine riesige Stereoanlage und einen Farbfernseher liefert. Ivan lebt zwar in einer Lehmhütte, aber er schwimmt im Geld. An beiden Händen trägt er drei schwere goldene Siegelringe, an seinen Handgelenken und auf der Brust klimpern breite Goldketten. Alle paar Minuten läßt er sich die schlammbespritzten, schwarzen Lackschuhe polieren. „Je fais la business“, beschreibt er lachend seinen Beruf und meint den Diamantenhandel.
Der 37jährige behauptet, Angolaner zu sein. Doch sein Französisch legt den Verdacht nahe, daß Ivan in Wirklichkeit aus dem benachbarten Zaire stammt. Seit 1983 lebt er in Cafunfo. „Ich habe immer Geld mit Cache-cache-Sachen gemacht“, erzählt er freimütig – Schmuggel, Schwarzmarkt und alle Geschäfte, die unter der Tischdecke laufen, sind demnach seine Spezialität.
Ivan ist nicht der einzige Diamantenhändler von Bala-Bala. Beinahe vor jeder der mehrere hundert zählenden Lehmhütten steht ein Luxuswagen. Den Liter Benzin gibt es auf dem Markt für fünf Dollar, ein Bier kostet zwei Dollar. Gehandelt wird mit allem, was Mangelware ist. Eigentlich dürften nur die 3.700 Arbeiter der in Bermuda registrierten Minengesellschaft RST in Cafunfo leben. Aber der Diamantenrausch am Cuango- Fluß hat alle Regeln über den Haufen geworfen.
In Bala-Bala, am Stadtrand von Cafunfo, etwa 800 Kilometer nordwestlich von Angolas Hauptstadt Luanda, dort wo der 18. Längengrad den Cuango-Fluß kreuzt, ist der Umschlagplatz für die Edelsteine, die Zehntausende von Garimpeiros in der Region ausbuddeln. „Unsere Truppen vertreiben sie regelmäßig“, erklärt John Ogelsby von der brasilianischen Minengesellschaft Odebrecht, während sein Hubschrauber über einer Gruppe von Garimpeiros schwebt. Die Firma erwarb im letzten Jahr die Rechte, über 88 Monate auf 105.000 Quadratkilometern im Cuango-Tal nach Diamanten schürfen zu dürfen.
Trotzig drohen einige nur mit Lendenschurz bekleidete Arbeiter mit ihren Fäusten. Hastig klettern Männer aus den metertiefen Löchern im Flußsand – sie fürchten, daß die Wände ihrer Löcher durch den Hubschrauberlärm einstürzen könnten. Die Diamantenschürfer verwandeln die Flußufer in eine Mondlandschaft. Sie kämpfen um ihre Gruben. „Wir finden pro Woche etwa einen Toten im Fluß“, erzählt ein Minenmanager. Wie viele tatsächlich sterben, weiß niemand. Es ist ein ungewisses Leben. Denn immer wieder kommen die „Truppen“ der beiden Minengesellschaften RST und Odebrecht mit ihren meterlangen Gummiknüppeln und zertrümmern, was in mühevoller Kleinarbeit geleistet wurde.
Noch vor wenigen Monaten suchten nach Schätzungen bis zu 50.000 Menschen ihr Glück am Cuango-Fluß. Doch Angolas Wahlen und die Unsicherheit über die Zukunft des Landes trieben viele der Glücksritter wieder nach Hause. Doch ganz gleich, ob es sich um sich abplagende Garimpeiros oder am Wohnzimmertisch absahnende Händler wie Ivan handelt: Ginge es nach der internationalen Diamantenindustrie, müßten sie alle besser heute als morgen verschwinden.
500 Millionen Dollar, so behauptet die südafrikanische Diamantengesellschaft De Beers, seien in diesem Jahr nötig, um die Diamanten aufzukaufen, die aus Angola geschmuggelt werden. Der südafrikanische Konzern, der einen Zweitsitz im schweizerischen Luzern unterhält, kontrolliert über die Central Selling Organisation (CSO) an der Londoner Charterhouse Street Nr.17 80 Prozent des Diamantenwelthandels. Das letzte Rohstoffkartell dieser Welt muß die Steine vom freien Markt aufkaufen, um den Preis künstlich stabil zu halten – und zu überleben. 200 Millionen Dollar gibt das Unternehmen jährlich alleine für Werbung aus, um den Hauch des Wertvollen zu bewahren. Zweifellos würde ein freier Markt den Wert der Edelsteine drücken, denn rund 85 Prozent der angolanischen Diamanten haben Schmuckqualität.
Die Edelsteinflut trifft De Beers zu einem Zeitpunkt, da der Weltkonzern in großen finanziellen Nöten steckt. Die Weltwirtschaftskrise ließ die Nachfrage nach den teuren Schmucksteinen erheblich sinken. Für nur 3,5 Milliarden US- Dollar, so schätzen Experten, gibt es einen Markt. De Beers aber sitzt auf Diamanten im Wert von 4,8 Milliarden Dollar. Die gesunden Barvorräte in Höhe von einer Milliarde sind nach Ansicht von Fachleuten längst auf die Hälfte geschrumpft. Aufsichtsratsmitlied Gary Ralfe bemühte sich, die Banken zu beruhigen: „De Beers hat Bestände in Höhe von fünf Milliarden Dollar, die nichts mit Diamanten zu tun haben.“ Vor einigen Wochen mußte De Beers gar die Streichung der Dividenden für dieses Jahr verkünden. Über Nacht sank der Wert der Aktien von 15 Milliarden Dollar auf ganze neun Miliarden.
De Beers, vertraglich verpflichtet eine garantierte Menge für 90 Prozent des festgelegten Weltmarktpreises aufzukaufen, kürzte angesichts der schwierigen Lage die vereinbarten Einkaufsquoten um ein Viertel. Damit sorgte der Konzern für Aufruhr in Rußland. Mit jährlich 1,5 Milliarden Dollar liegt ein Fünftel der Diamantenweltproduktion in russischer Hand. Jetzt droht Moskau, die gestrichene Menge auf dem freien Diamantenmarkt in Antwerpen zu verhökern. Grund genug für den 88jährigen Ex-De Beers Chef Harry Oppenheimer, aus seiner Villa im Johannesburger Stadtteil Brenthurst nach Moskau zu eilen, um die Wogen zu glätten.
Sein Sohn Nicky, Chef der Zentralen Verkaufsorganisation CSO, warnte in Moskau: „Eine Partnerschaft zwischen de Beers und der russischen Diamantenindustrie ist nicht nur natürlich, sondern auch notwendig für die Stabilität des weltweiten Diamantengeschäfts.“ Das Antwerpener Fachblatt Diamond Intelligence Briefs spekulierte bereits, daß De Beers die russische Konkurrenz in den eigenen Aufsichtsrat holen wird, zwei De- Beers-Vertreter im Gegenzug in die russische Firma Almazy Roseii einziehen würden und so die Ruhe auf dem Diamantenmarkt wiederhergestellt würde.
Freilich, das angolanische Problem ist damit nicht gelöst. Nicky Oppenheimer soll in der Hauptstadt Luanda im Sommer 200.000 Dollar Belohnung für Angolas Polizei lockergemacht haben. Prompt rafften sich die Behörden zu einer Razzia auf und griffen etwa 600 Ausländer im Gebiet von Cafunfo auf. Doch die Diamantenhändler konterten mit eigenen Bestechungsgeldern.
Ivans Haus wird jetzt von zwei Polizisten in Uniform beschützt. Was den agilen Händler nicht hindert, heftig zu klagen: „Die Polizei hat mir Diamanten weggenommen. Die Regierung hat den Handel nicht wirklich liberalisiert.“ Das war auch nie die Absicht der angolanischen Behörden. Sie legalisierten per Gesetz den Besitz von Diamanten für Angolaner, in der Hoffnung, daß so heimlich angelegte Vorräte verkauft würden. Aber damit förderte die Regierung nur den Diamantenrausch am Cuango-Fluß.
Trotz aller Klagen läuft Ivans „Business“ wie am Schnürchen. Aus dem Farbfernseher dröhnen die Geräusche des Brutalo-Videos „Jenseits des Gesetzes“. Am Wohnzimmertisch sortiert Ivan mit einer kleinen Blechschaufel die „Tränen Gottes“ – die Diamanten. Sie kommen auf einen Haufen und dann auf die elektronische Waage. Prüfend beäugt Ivan durch eine Lupe einen Diamanten, groß wie eine Murmel. 200 bis 300 Dollar zahlt Ivan je nach Qualität der Steine für ein Karat. 13.000 will der Verkäufer, auf 10.000 Dollar einigen sich beide Seiten schließlich. Der Preis wird sofort und in 100-Dollar-Scheinen beglichen.
„Das Gebiet hier hatte unglaubliche Vorkommen“, schwärmt Odebrecht-Vertreter John Ogelsby von der guten alten Zeit Ende der 70er Jahre. Diamanten kommen vor allem dort vor, wo der Wasserstrom langsamer wird. Aus einem vom Wasser ausgehöhlten Loch in den Felsen holten die Diamantenschürfer damals an einem Tag 10.000 Karat heraus. Doch auch jetzt lohnt sich großer Aufwand offenbar noch immer. Das komplette Flußbett wird Stück für Stück umgeleitet. Knapp 80 Millionen Dollar investiert Odebrecht in sein Luzamba-Projekt am Cuango- Fluß. Die jährlichen Betriebskosten belaufen sich auf rund 80 Millionen US-Dollar. Die Einkünfte werden während der 88monatigen Lizenzzeit auf 1,5 Milliarden Dollar veranschlagt. Die angolanischen Angestellten müssen sich bei der brasilianischen Firma und der von dem Deutschen Chris Hellinger geleiteten RST mit monatlichen Mindestlöhnen von 30 US- Dollar plus Zusatzleistungen zufriedengeben.
Voraussetzung für gute Geschäfte freilich ist, daß die Produktion so laufen kann wie geplant. Doch dafür stehen die Zeichen schlecht. Mitte Oktober waren Mitglieder der rechtsgerichteten Rebellenbewegung Unita in eine Mine am Cuango eingedrungen und hatten die Arbeiter bedroht.
Unita-Soldaten schützen die Garimpeiros nördlich von Cafunfo. Die Rebellenbewegung, die ihre Wahlniederlage von Ende September nicht akzeptieren will und sich allem Anschein nach auf einen neuen Konflikt vorbereitet, besetzte außerdem alle Zufahrtsstraßen zum Diamantengebiet. „Es geht hier nicht um Politik“, so ein Minenmanager, „sondern darum, sich die Taschen zu füllen.“ Bei einem neuen Konflikt, so kalkuliert wohl Unita-Chef Jonas Savimbi, wird der Cuango-Fluß entscheidend für die Finanzierung der Organisation sein. Die Unita besitzt bereits eine Sortieranlage für Diamanten in ihrem Buschhauptquartier in Jamba nahe der Grenze zu Namibia.
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