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Bremer Bürger wollen keine Junkies

Der Senat will Drogenabhängige in die Vororte abschieben, Bürgerinitiative besetzt dafür vorgesehenes Gelände/ Drogen-Anlaufstelle in der Innnenstadt ist geschlossen  ■ Aus Bremen Birgitt Rambalski

Die repressive Wende in Bremens Drogenpolitik, vom Ampelsenat vor drei Wochen beschlossen, wird langsam sichtbar. Verbotsschilder und Absperrbaken schrecken die Freier vom bisherigen Drogenstrich in der Friesenstraße ab. Streifenwagen fahren unermüdlich Patrouille. Freier und Prostituierte, die dennoch in den Nebenstraßen angetroffen werden, erhalten seit Sonntag Info- Blätter von der Polizei, in denen ihnen Personenüberprüfungen angedroht werden.

Gleichzeitig hat der Drogenbus der „Bremer Hilfe“ zum 1. November seine Arbeit eingestellt. Damit haben die Junkiefrauen und -mädchen nachts keine Anlaufstelle mehr zum Spritzentauschen, Kaffeetrinken und Pariserholen. Rund drei Jahre lang hatten Sozialarbeiterinnen ihre Streetwork mit den drogenabhängigen Frauen am Strich von diesem Bus aus organisiert, hatten ihnen Wunden und Abszesse verbunden, sich Erlebnisse mit gewalttätigen Freiern berichten lassen und den anderen Frauen warnend entsprechende Informationen weitergegeben. Zwar hat Bremens Sozial-und Gesundheitssenatorin Irmgard Gaertner (SPD) alternative Hilfsangebote versprochen, doch davon ist nichts in Sicht.

Noch Ende September, gleich nach dem bahnbrechenden Beschluß der SPD-Fraktion zur ersatzlosen Zerschlagung des Drogenstrichs und Einstellung des Hilfsangebots, hatten die Ampel- SenatorInnen sich auf ein Drogen- Sofortprogramm geeinigt: 100 Unterkünfte für Drogenabhängige bis zum Winter und Plätze für einen niedrigschwelligen Eintritt ins Methadonprogramm, insbesondere für Prostituierte.

Doch auch dieser Beschluß wird nur gegen Widerstände durchzusetzen sein. Die Verhandlungen mit ASB und Drogenhilfe zur Einrichtung von zwei Notaufnahmen mit je 35 Plätzen verliefen bisher ergebnislos. Eine bestehende Containeranlage mit 48 möglichen, aber nur 24 genutzten Übernachtungsplätzen muß bis zum Jahresende ihren Standort wechseln. Sie soll nun in eine feine Bremer Wohngegend, nach Oberneuland, umziehen.

Dort, wo wo vor allem Unternehmer und Manager in ihren Villen mit meist parkähnlicher Umgebung wohnen, laufen die Bürger Sturm gegen die Junkies. Am Wochenende besetzten sie mit fünf Wohnwagen und Mobiltelefon die als Standort vorgesehene grüne Wiese.

Strohballen markieren die Grundrisse der geplanten Containerwabe. Die braven Bremer Bürger, das ist klar, fühlen sich bedroht: „Die sind doch alle kriminell“, sagen die Bürger und Bürgerinnen mit Blick auf ihre alarmanlagengeschützten Häuser und Nobelkarossen, „hier sitzen sie doch mitten im fetten Speck.“

Doch auch soziale Konflikte sehen die Oberneuländer voraus: Direkt gegenüber der besetzten Wiese steht ein privates Altenpflegeheim, wenige Meter weiter eine anthroposophische Schule für Behinderte.

Wenn zunächst 25, später unter Umständen auch 48 Drogenabhängige ins Oberneuland ziehen, sehen die Anwohner sich und diese Einrichtungen in ihrer Sicherheit gestört. Daß die Behörde den Junkies jedoch rund um die Uhr Sozialarbeiter an die Seite stellen will, bezeichnen sie als „unehrlich“ und „einen Witz“: Sieben Betreuer, die sich in drei Tagesschichten den Wochendienst teilen, könnten lediglich Wachfunktion erfüllen.

Neun der Anwohner haben dann auch schon Gerichte bemüht, um den Widerstand gegen die Wohncontainer zu legitimieren. Mit dem Aufstellen der Container, so ihr Rechtsanwalt Rolf Salmon, setze sich die Sozialbehörde eindeutig über geltendes Baurecht hinweg. Der Bebauungsplan erlaube in diesem Gebiet nämlich nur normales Wohnen und die stark eingeschränkte Gewerbeklasse 4. Nur wenn öffentliches Interesse und mangelnde Alternativstandorte nachgewiesen werden, könne diese bebauungsplanrechtliche Beschränkung aufgehoben werden.

Initiativensprecher Hasso Nauck: „Der Fall Oberneuland ist ein Politikum. Frau Gaertner will hier ein Exempel statuieren.“ Frau Gaertner war, nachdem sie mit Eiern beworfen worden war, in einer Sitzung mit den Oberneuländern der Kragen geplatzt: „Was sich hier abspielt, klingt wie der pure Faschismus.“

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