„Ein anständiger Mensch“ macht da nicht mit

■ Israels Reservistenorganisation „Jesch Gvul“ für Boykott der „Elite-Einheiten“

Tel Aviv (taz) – Eine Gruppe israelischer Reservesoldaten brachte in den letzten Tagen eine kleine Broschüre in Umlauf, die für einigen politischen Wirbel sorgte. Darin werden jene Spezialtruppen, die sich als AraberInnen verkleidet unter die palästinensische Bevölkerung mischen und von „Sicherheitsdiensten gesuchte Personen“ erschießen, als „unmoralisch“ verurteilt. Die Reservisten, die mit dieser Position an die israelische Öffentlichkeit traten, verweigern den Militärdienst in den von Israel besetzten Gebieten. Unmittelbar nach dem Libanon- Krieg haben sie sich in der Organisation „Jesch Gvul“ („Es gibt eine Grenze“) zusammengetan.

In der Broschüre werden junge Israelis aufgefordert, sich während ihres dreijährigen Militärdienstes für keine dieser geheimen „Elite- Sondereinheiten“ in den besetzten Gebieten freiwillig zu melden. Den maskierten Kommandos wird unter anderem vorgeworfen, gesuchte Personen gezielt zu töten, auch wenn man sie lebend in Gefangenschaft nehmen könnte. Auf diese Weise sollen bereits etwa 100 Palästinenser ums Leben gekommen sein. Die Broschüre enthält erschütternde Zeugenaussagen israelischer Reservesoldaten, die an den Operationen der „Elite-Einheiten“ beteiligt waren. „Jesch Gvul“ kommt zu dem Schluß, daß es Einheiten gibt, „zu denen sich ein anständiger Mensch nicht freiwillig meldet“.

Militärsprecher griffen die Kampagne an. Die maskierten Sondereinheiten hätten die „wichtige Aufgabe“, zur Fahndung ausgeschriebene „Terroristen“ ausfindig zu machen, ihrer habhaft zu werden oder sie „unschädlich“ zu machen. Tagtägliche „Operationen gegen gefährliche Banden“ seien notwendig. Die „Elite-Einheiten“ handelten im Rahmen bestehender Gesetze und beachteten die geltenden Vorschriften für die Verwendung von Schußwaffen.

In einigen Fällen wurden die Verteiler der Broschüre von Mitgliedern extremer Rechtsorganisationen wie „Kach“ angegriffen und verprügelt. Bei der Verteilung der Broschüre und dazugehöriger Flugblätter am Eingang von Schulen kam es auch zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern von „Jesch Gvul“ und einer Minderheit von Gymnasiasten, die immerhin das Recht der Gruppe verteidigten, ihre allgemein als unpatriotisch verworfene Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Ministerpräsident Rabin fand es passend, persönlich gegen die Broschüre zu wettern. Er fand sie „skandalös“ und „die Wahrheit verfälschend“. „So was können nur verantwortungslose Leute tun. Die Sonderheinheiten operieren im Rahmen des Gesetzes, und ich fühle mich oft nicht wohl bei dem Gedanken, daß das Gesetz die Aktionen der Einheiten in Schranken hält. Denn fast immer haben die Terroristen so das Recht, selbst das Feuer zu eröffnen, was israelische Soldaten das Leben kosten kann.“

Sogar in der wöchentlichen Kabinettssitzung kam das Thema zur Sprache. Rabin äußerte sich lobend über die Tätigkeit der todbringenden „Maskierten“-Sondereinheiten in den besetzten Gebieten. Bildungsministerin Schulamit Aloni (Meretz) erklärte, sie sei kein „Oberzensor“ und könne die öffentliche Verteilung der unerwünschten Flugblätter nicht verhindern. „In diesem freien Land können Leute ihre Meinung frei äußern. In den Schulen selbst dürfen allerdings Flugblätter oder Broschüren dieser Art ohne Erlaubnis des Schuldirektors nicht zur Verteilung kommen.“

Die Kibbuz-Organisation der Mapam (Meretz) hat den „Jesch Gvul“-Aufruf scharf kritisiert und verworfen. „Jeder Rekrut hat das Recht, selbst zu entscheiden, in welcher Einheit er dienen möchte. Zu verweigern sind höchstens gesetzwidrige Befehle, eine Verweigerung aus politischen und anderen Gründen ist hingegen definitiv unzulässig“, erklärt das Sekretariat der Mapam-Kibbuzorganisation. Amos Wollin