: Wie der Geist nach Bremen kam
■ Bibliophile Neuausgabe von Wilhelm Hauffs "Phantasien im Bremer Ratskeller", dortselbst vom manholdt-Verlag vorgestellt
Wie der Geist nach Bremen kam
Bibliophile Neuausgabe von Wilhelm Hauffs „Phantasien im Bremer Ratskeller“, dortselbst vom manholdt-Verlag vorgestellt
Draußen heult der Sturm, die Windfahnen stimmen sonderbare Weisen an, und der Regen rauscht auf das Pflaster des Domshofs. Die Zeit ist gekommen für einen Gang die Stufen unter dem Rathaus hinunter zu den Gewölben vor den bauchigen Fässern. Da brachten sie schon vor vierhundert Jahren abends ihre Weiber und Mädchen mit in den Keller, und die schönen Bremerkinder tranken Rheinwein oder von unserem Nachbarn Moseler, und waren weit und breit berühmt durch ihre blühenden Wangen, durch ihre purpurroten Lippen, durch ihre herrlich blitzenden Augen; jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug, als Tee und dergleichen, was weit von hier bei den Chinesen wachsen soll und was zu meiner Zeit die Frauen tranken, wenn sie ein Hüstlein oder sonstige Beschwer hatten. Rheinwein, echten gerechten Rheinwein können sie gar nicht mehr vertragen...
Wer da spricht? Es spricht das Fräulein Rose, eine alte Matrone von hoher Gestalt und weidlicher Dicke. Diese Fleischwerdung des ungeheuren Fasses im Rosenkeller und seines kostbaren Schatzes, des Rheinweins von 1614, sitzt im Gewölbe des Ratskellers und trinkt manch mächtiges Paßglas aus. Zusammen mit dem nackten, kleinen, dicken Gott des Bachuskellers, mit dem Kellermeister Balthasar, der seine Seele für ein Himmelreich an Rheinwein dem Teufel verkaufte und mit den zwölf Aposteln.
Sie kennen all diese Leute, die Keller, den Rheinwein und die ihm entsteigenden Phantasien im Bremer Ratskeller von Wilhelm Hauff nicht? Der Bremer manholt Verlag hat sie neu herausgebracht, in großen, klaren, schwarzen Lettern auf starkem und dennoch feinem Papier. Die Seiten leuchten aus einem Vorsatzblatt heraus, das ist so schwarz wie die erste Septembernacht 1826, in der die Weingeister dem Wilhelm Hauff im Ratskeller in den Kopf stiegen; und gebunden ist es in Linnen so blau wie der Weindunst, der dem Kopf des Senators Walther durch den kleinen silbernen Hahn entströmte. Dazu hat die Bremer Malerin Karin Hellweg Illustrationen getuscht, farbig und mit leichter Feder.
Ihre Neuherausgabe verdanken die Phantasien Christian Marzahn, einem praktizierenden Philosophen der kulturbringenden Kraft des Weingeistes und graduierten Menschenkind aus Schwaben, das es nach Bremen verschlagen hat, welch beides auch für Hauff zutrifft. Der, 23 Jahre jung, Autor des „Lichtenstein“ und der „Memoiren des Satan“ war im Herbst 1826 zu Besuch bei Bremens guten Familien. Er wurde vom berühmten Bürgermeister Smidt persönlich in den Ratskeller geführt, vermutlich mit einem Schluck aus Frau Roses Faß geehrt, verknallte sich in die schöne Josephe Stolberg, „natürliche Tochter des Grafen Joseph zu Stolberg-Stolberg“ und „blitzte ab“, wie Marzahn bei der rheinweinumflossenen Vorstellung des Buches im Ratskeller sagte. Ein Jahr später starb Wilhelm Hauff mit 24 Jahren am Fieber. Vorher war er noch Redakteur des „Stuttgarter Morgenblattes für die gebildeten Stände“ geworden, hatte seine Braut Luise geheiratet, die Phantasien geschrieben und eine Tochter gezeugt.
Sie aber, geneigte Leser, können für das Leben vor dem Tode können noch viel aus den Phantasien mitnehmen. Zum Beispiel, daß noch nutzbringender als ein Fastentag ein gelegentlicher Schalttag ist, an dem Sie mit Ihrer Seele und ihren Erinnerungen Zwiesprache halten; oder wie der Senat der fröhlichen Stadt Bremen schon vor Jahrhunderten dafür berühmt war, seine Geschäfte beim Kampftrinken zu regeln ; wie vor 1000 Jahren der Wein an den Rhein kam und vor 600 Jahren in die Eichenfässer des Bremer Senats. Anders gesprochen, Sie können erfahren, wie mit dem Wein die Kultur von Westen nach Osten getragen wurde. Sie benötigen dazu nur ein paar Römer, einige Flaschen guten Rheinweins und zum Vorlesen Wilhelm Hauffs Phantasien in der blauen Ausgabe. Uta Stolle
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