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Fremde Sperren zu Seele und Körper

■ Sozialpsychologen diskutieren Therapien für Ausländer in der Bundesrepublik

Als vor einem Jahr in der Ausländerarbeit engagierte Gruppen zum großen politischen Ratschlag über die Zuwanderung und ihre Folgen luden, blieb der Saal — trotz flächendeckender Plakatierung — ziemlich leer. Als dagegen am vergangenen Wochenende das Bremer „Institut für Psychosoziale Arbeit und Prävention“ zur Fachtagung über die „Begegnung mit dem Fremden in der psychosozialen Versorgung“ geladen hatten, drängelten sich rund 150 angemeldete TeilnehmerInnen. ÄrztInnen, SozialpädagogInnen und MitarbeiterInnen von Beratungsstellen drückte alle das gleiche praktische Problem: Wie können wir auf die fremden Bedürfnisse fremder Menschen angemessen eingehen?

Daß dies bisher nicht passiert, war schnell festgestellt: Krankenhaus-ÄrztInnen berichteten, wie immer wieder türkische Putzfrauen zu Dolmetscher-Diensten bei der Behandlung von PatientInnen eingespannt werden müssen (Krankenkassen zahlen dafür grundsätzlich nicht); Psychologen in Beratungsstellen haben festgestellt, daß Körper und Seele in anderen Kulturen anders erlebt werden und ihnen der therapeutische Zugang zu AusländerInnen deshalb oft genug versperrt bleibt; SozialpädagogInnen sind immer öfter mit Gastarbeitern der ersten Generation konfrontiert, die nach 30jähriger Arbeit in Deutschland nicht mehr in die Türkei zurück wollen, auf deren Bedürfnisse deutsche Altersheime aber überhaupt nicht vorbereitet sind.

Auch in einer Befragung, die das kleine Institut im vergangenen Jahr bei niedergelassenen ÄrztInnen im Bremer Westen durchgeführt hatte, wurde immer wieder große Ratlosigkeit im Umgang mit den besonderen Problemen ausländischer PatientInnen genannt. Allein für Flüchtlinge gibt es in Bremen mit der Findorffer Beratungsstelle „Refugio“ ein spezifisches Angebot, das mit nur einer einzigen Psychologen-Stelle dem gewaltigen Andrang allerdings nicht gewachsen ist.

Daß es auch anders geht, konnte der Medizinsoziologe Jürgen Collatz aus Hannover berichten. Dort gibt es seit einiger Zeit ein „Ethnomedizinisches Zentrum“, das medizinischem und sozialpädagogischem Personal mit Rat und Tat zur Seite steht. Außerdem werden gesundheitlich angeschlagene AusländerInnen beraten, wie sie das nötige Selbstvertrauen gewinnen können, um im deutschen Medizinsystem nicht unterzugehen. „Sowas brauchen wir auch in Bremen“, war die übereinstimmende Überzeugung der TagungsteilnehmerInnen.

Dem stimmte auch Dagmar Lill, Leiterin der Bremer Ausländerintegrations-Zentralstelle, zu. Geld sei dafür aus dem Bremer Staatsetat allerdings nicht zu holen, warnte sie. Stattdessen sollten Krankenkassen und die großen Betriebe mit hohem Anteil ausländischer ArbeitnehmerInnen in die Pflicht genommen werden. Wie schwierig das ist, konnten allerdings die Veranstalterinnen der Tagung berichten, die trotz intensiver Bitte keinen Vertreter aus Bremens größter Krankenkasse, der AOK, auf das Podium der abschließenden Diskussion bekommen konnten.

Etwas entgegenkommender zeigten sich bislang die Betriebskrankenkassen von Klöckner und Mercedes. Sie haben zumindest mit der Förderung kleinerer Spezialangebote für ihre ausländischen Mitglieder Problembewußtsein signalisiert. So finanziert die Klöckner-Kasse in Gröpelingen spezielle Bewegungskurse für türkische Frauen. Tatsächlich müßte es allerdings im Eigeninteresse der Krankenkassen liegen, sich noch weit mehr vorbeugend um die psychosoziale Versorgung ihrer ausländischen Mitglieder zu kümmern und damit letztlich hohe Diagnose- und Therapie-Kosten im Krankenhaus zu vermeiden — so zumindest die Überzeugung der TagungsteilnehmerInnen.

Sie wollen sich jetzt gemeinsam für die Einrichtung eines „ethnomedizinischen Zentrums“ im Bremer Westen stark machen. Ase

Kontakt: Institut für Psychosoziale Arbeit und Prävention, Dobbenweg 10, 2800 Bremen 1, Tel. 77212. Im Dezember werden die Ergebnisse der Bremer Tagung in Buchform veröffentlicht.

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