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Auf zu neuen Ufern der Dreistigkeit

■ betr.: Berichterstattung zum CDU-Parteitag, taz vom 28.10.92

Betr.: Berichterstattung zum CDU-Parteitag, taz vom 28.10.92

Nun hat sie also geschlagen, die Stunde der Wahrheit. Besagt dies im Umkehrschluß, daß wir das düstere Zeitalter von Lügen, Täuschungen und krassen Fehleinschätzungen hinter uns gelassen haben?

Keinem solle es schlechter gehen, versicherte der Kanzler im Einheitswahlkampf; von blühenden Landschaften war da die Rede. Steuererhöhungen zur Finanzierung der Wiedervereinigung wurden als Einfallslosigkeit von Sozialisten abgetan, die nicht mit Geldern umgehen können. Alles legitime Parolen im Wahlkampf, insbesondere dann, wenn man die Mündigkeit des Wahlbürgers in Rechnung stellt.

Es steht im Belieben des Wahlvolkes, den Ver-Sprechungen von Politikern zu folgen. Ein Einstehenmüssen ist insofern gegeben, als daß das Resultat von Regierungsarbeiten letztendlich von den Bürgern zu tragen ist. Als Pendant auf der Seite der politisch Agierenden sollte doch das Prinzip „Verantwortung“ stehen. Aber dieses scheint der politischen Kultur immer mehr abhanden zu kommen. [...]

Selbst bei den Ausreden mag man sich keine rechte Mühe mehr geben. Es fällt in den Rahmen der obrigkeitlichen Huld des Kanzleramtes, die Stunde der Erkenntnis, die der Wahrheit einzuläuten und dem Volke davon kundzutun und es daran teilhaben zu lassen. Unser Kanzler ließ sich sogar in irdische Niederungen hernieder, und wir durften sein menschliches Anlitz schauen, als er uns edel eingestand: „Natürlich haben wir Fehler gemacht, auch ich habe Fehler gemacht!“ Auch wenn das Volk nur in Abhängigkeit von ihm am Baum der Erkenntnis zu laben in der Lage ist, in dunkler Vorahnung haben die ihm Untergebenen die auf sie zukommenden Belastungen der Einheit bereits durchlebt.

Es ist das gute Recht der Union, ihre Parteitagsbeschlüsse an den Bürger heranzutragen. Auch die SPD kann unterm Strich nur saure Gurken feilbieten. Die objektive Lage ist schwierig. Schonungslose Wahrheit ist schon längst angesagt, aber dieser Kanzler hat die moralische Legitimation verspielt, mit der er einst hausieren ging, als Chefverkäufer der CDU und als Unterhändler der Wahrheit aufzutreten. In feister Überheblichkeit werden die BürgerInnen jedoch weiterhin für dumm verkauft. [...] Stephan Schmidt,

Martin Möllhoff-Mylius, Berlin

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