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■ Gastkommentar: Der Übervater USA ändert sein GesichtEuropa wird erwachsen

Gegen Ende der 20er Jahre ließ der Gouverneur des Staates New York, ein gewisser Frank Delano Roosevelt, Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur erkennen. Der angesehenste Leitartikler der New York Times, Walter Lippmann, bezeichnete den Kandidaten vernichtend als „einen sympathischen Menschen ohne große Qualitäten, der aber gar zu gerne Präsident werden möchte“. Wie man weiß, kam alles ganz anders. Roosevelt schaffte es und wurde mit Sicherheit einer der großen amerikanischen Präsidenten dieses Jahrhunderts. Man sollte sich also tunlichst davor hüten, den neuen Präsidenten der USA, Bill Clinton, an seinen verwaschenen Wahlkampfreden zu messen. Wie das Beispiel Roosevelt lehrt, ist es nicht nur die Person des Präsidenten, die den Ausschlag gibt über die Qualität seiner Politik, sondern auch seine Fähigkeit und sein Geschick, den großen Spielraum, den die amerikanische Verfassung dem Präsidenten bei der Besetzung von Ämtern gibt, gut zu nutzen und die richtigen Berater zu wählen.

Nach allem, was man von hier aus zu erkennen vermag, scheint Clinton hier – von der Ausnahme Außenministers Baker einmal abgesehen – gegenüber dem scheidenden Präsidenten Bush besser und, vor allem, zukunftsorientierter besetzt zu sein. Die Tatsache, daß Amerika einen in seinen sozial- und bildungspolitischen Konzeptionen stark europäischen, für amerikanische Verhältnisse geradezu etatistischen Politiker gewählt hat, ist in Europa paradoxerweise nicht nur ein Grund zur Freude. Zum einen sind die Europäer unsicher hinsichtlich der bewährten transatlantischen Verbindungen, eine Sorge, die alt ist. Man erinnere sich nur an den Sozialdemokraten Helmut Schmidt, der dem Republikaner Ford eindeutig den Vorzug vor dem Demokraten Jimmy Carter gab. Zum anderen fürchten sie sich auch vor einem, wie sie es nennen, stärkeren Protektionismus der USA, wobei allerdings allzu gerne vergessen wird, daß diejenigen, die beständig gegen die Freihandelsabkommen und das Gatt verstoßen, die Europäer mit ihrer Subvention der Landwirtschaft und von Kohle und Stahl sind.

Dennoch, schaut man sich in Deutschland, Frankreich oder Italien um, bei Kommentatoren der Zeitungen und selbst bis in die konservativen Kreise hinein, so ist Clinton keineswegs ungeliebt. Repräsentiert er doch einen, von allen irgendwie als fällig erachteten Wandel. Zum ersten Mal wird einer Präsident der USA, der in gewisser Hinsicht nicht mehr geprägt ist durch die beiden Großereignisse dieses Jahrhunderts: den Ersten Weltkrieg und den Krieg der Anti-Hitler- Koalition mit der nachfolgenden Einteilung der Welt durch die Abkommen von Jalta. Insofern symbolisiert die Präsidentschaft Clintons weniger das Ende der Großmacht USA als vielmehr deren Übergang ins 21. Jahrhundert, nachdem das 20., das sogenannte short century, 1989 zu Ende gegangen ist.

Und das ist folgenreich – für Europa. Europa wird sich in Zukunft nicht mehr auf den eingespielten Automatismus verlassen können, daß, wenn es denn darauf ankommt, die USA schon die Kartoffeln aus dem Feuer holen werden. Diese Rolle fungierte als ein prächtiges Bindemittel für die europäische Einigung, erlaubte sie es doch, zahlreiche problembeladene Entscheidungen einfach von sich zu schieben und auf den großen Bruder zu verlagern. Damit wird Clinton Schluß machen. Irgendwann hat auch die behütetste Kindheit ein Ende. Und nichts anderes waren die 45 Nachkriegsjahre bis 1989 für Europa.

Im Grunde deutet sich in Jugoslawien bereits an, was gefordert sein wird: Mut zu Entscheidungen in der Politik und die Bereitschaft, die Konsequenzen dieser Entscheidungen auch zu tragen. Da werden auch die Deutschen sich nicht mehr hinter ihrer historischen „Sonderrolle“ verstecken können. Es geht nicht an, überall auf der Welt die Menschenrechte einzuklagen, gleichzeitig aber sich durch „ein paar Silberlinge“ von der Schmutzarbeit, die Geltung dieser Menschenrechte durchzusetzen, einfach freizukaufen. Vor uns liegt eine krisenhafte Zeit, nämlich eine, wie die griechische Wurzel von Krisis-Scheidung nahelegt. Zeit von Entscheidungen, die von nun an ohne Netz und doppelten Boden getroffen werden müssen. Für die Selbstbesinnung der Europäer allerdings muß es nicht schlecht sein, wenn nun der Übervater Amerika nicht mehr, oder zumindest nicht mehr in dem Maße, seine schützende Hand über sie hält. Denn mit dem Bild des Übervaters wird auch das des bösen und kulturlosen Feindes schwächer werden: Die Europäer werden in Zukunft sagen müssen, was sie wollen und nicht, was sie nicht wollen. Ulrich Hausmann

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