: Polen hofft auf sanften IWF
Polens Gläubiger wollen erst dann über eine Umschuldung reden, wenn das Land ein neues Abkommen mit dem IWF unterzeichnet hat ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Glaubt man Polens Presse, so steht der Abschluß eines neuen Abkommens zwischen Polen und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) unmittelbar bevor. Experten des IWF sind bereits seit einer Woche in Warschau, eine Verhandlungsdelegation ist ebenfalls eingetroffen. Nachdem der IWF sein 2,5-Milliarden-Kreditprogramm im Herbst letzten Jahres suspendiert hatte, weil Polens Haushaltsdefizit mehr als die erlaubten fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufwies, sollte das Programm bereits Mitte Oktober wieder aufgenommen werden.
Die Staatsverschuldung ist denn auch der Punkt, um den sich die Verhandlungen seit Monaten drehen; eine endgültige Entscheidung dürfte daher fallen, wenn das Parlament den Haushalt für das Jahr 1993 verabschiedet hat.
Als die Verhandlungen mit dem IWF 1990 begannen, präsentierte Polen ein Vorschlagspaket, mit dessen Hilfe eine Bekämpfung der damals noch dreistelligen Inflationsrate erreicht werden sollte. Für die zweite Hälfte 1992 war darin eine monatliche Inflationsrate von einem Prozent vorgesehen. Tatsächlich beträgt sie inzwischen ein Mehrfaches davon, ähnlich wie bei fast allen anderen Rahmendaten: Sie erwiesen sich als zu tief angesetzt. Das Budgetdefizit etwa, für das fünf Prozent des BIP angesetzt wurden, könnte im nächsten Jahr über das Doppelte betragen.
Einiges scheint allerdings darauf hinzudeuten, daß der IWF sich nicht auf die ohnehin unrealistisch gewordenen fünf Prozent festlegen wird. Einzelne Vertreter ließen bereits erkennen, daß es ihnen mehr darauf ankommt, die Staatsverschuldung grundsätzlich unter Kontrolle zu halten. Die Strategie dahinter: Eine niedrige Staatsverschuldung garantiert eine niedrige Inflation und damit die Möglichkeit, den Wechselkurs stabil halten zu können. Nur damit ist garantiert, daß Polen seine Auslandsschulden bedienen kann.
Für Polen dagegen ist die Unterzeichnung einer neuen Vereinbarung mit dem IWF längst nicht nur Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des 2,5-Milliarden- Programms. Auch der Londoner Klub der kommerziellen Banken, denen Polen 13 Milliarden Dollar schuldet, hat eine Umstrukturierung dieser Schulden von einem Abkommen mit dem IWF abhängig gemacht. Der Pariser Klub der staatlichen Gläubiger hat zwar schon einer 50prozentigen Reduktion der 33 Milliarden Dollar Auslandsschulden zugestimmt, doch ist für die zweite Phase (20 Prozent Reduktion ab 1993) ebenfalls grünes Licht von seiten des IWF erforderlich. Nur die Weltbank finanziert einzelne Programme in Polen unabhängig vom IWF.
Von einer Neuaufnahme des IWF-Programmes erhofft sich Polen vor allem zusätzliche Mittel zur Entschuldung der Staatswirtschaft. Insgesamt 30 Billionen Zloty (umgerechnet ca. drei Milliarden Mark) wären notwendig, um allein die Banken von der Last uneintreibbarer Schulden zu befreien – eine Erblast aus Zeiten, als Kredite wie Subventionen aus politischen Gründen per Gießkanne zu Niedrigzinsen verteilt wurden. Ohne die große Entschuldungsaktion, die über den Staatshaushalt nicht finanzierbar ist, besteht kaum eine Chance, Polens große Staatsbanken zu privatisieren. Manche schleppen eine Altschuldenlast von bis zu 60 Prozent der Kreditsumme mit sich herum. Polen möchte nun jene Milliarde Dollar aus dem Stabilisierungsfonds des Zloty zur Entschuldung verwenden. Doch die westeuropäischen Einzahler des Fonds legen auch hier Wert darauf, daß sich Polen zuvor mit dem IWF einigt.
Das Fehlen der IWF-Gelder für die innere Entschuldung Polens hat sich bisher auch in der Wirtschaft stark bemerkbar gemacht. Die gegenseitige Verschuldung der Staatsbetriebe untereinander und bei Banken nimmt ständig zu, was zu dem für osteuropäische Wirtschaftssysteme typischen Phänomen des „Schuldenstaus“ geführt hat: Obwohl Großbetriebe oft reihum beieinander verschuldet sind, werden die Schulden nicht gegengerechnet und führen so durch auflaufende Zinsen und Konventionalstrafen zu immer höheren Schuldenbergen. Ohne Hilfe von außen kann Polen diese Verschuldung nur in eine Staatsverschuldung umwandeln, was wiederum den Budgetrahmen sprengen würde. Noch immer stekken marktwirtschaftliche Umschuldungsmethoden, wie die Ausgabe von Wechseln oder die Umwandlung von Schulden in Kapitalanteile, in den Kinderschuhen oder werden durch rechtliche Hindernisse unmöglich gemacht. Ohne eine Entschuldung von Betrieben und Banken droht Polen dagegen eine unkontrollierbare Pleitenwelle, die durchaus auch Betriebe und Banken treffen kann, die eigentlich rentabel arbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen