: Bohl: Kein Staatsstreich geplant
Der Bundestag debattiert den von der CDU im Zusammenhang mit dem Asylrecht ins Spiel gebrachten Begriff „Staatsnotstand“/ Gegenseitige Schuldzuweisungen statt Klarheit ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Auch nach der von der Opposition erzwungenen Debatte des Bundestags über den von Kanzler Kohl und dem stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionschef Johannes Gerster im Zusammenhang mit dem Asylrecht gezielt gebrauchten Begriff „Staatsnotstand“ ist keineswegs klarer, was im Kanzleramt für den Fall der „Katastrophe“ bereits vorgedacht worden ist. Die Befragung von Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDu) und die anschließende aktuelle Stunde geriet zur heftigen Kontroverse. „Der angeknackste Grundkonsens könnte dauerhaft beschädigt werden“, befürchtete SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose. Zwar will Klose sich „einfach nicht vorstellen, daß Sie einen Verfassungsbruch planen“, aber Grund zur dringlichen Mahnung sieht er doch, seit Kohl den Begriff des Staatsnotstands im Zusammenhang mit den Asylbewerberzahlen ins Spiel gebracht hat. In der konkurrierenden Partei könne man einen Gegner sehen, aber der Feind stünde rechts. Er verlangte den „unbedingten Respekt vor der Verfassung“, die Orientierung aller Parteien am Gemeinwohl nicht in Frage zu stellen und nie zu vergessen, was 1933 geschehen ist. Burkhard Hirsch (FDP) beschied an die Adresse seiner Kaolitionspartner: „Das Wort Notstand ist nicht gut gewählt.“ Es sei historisch belastet und polarisiere.
Aber die Reden der Unionspolitiker zeigten, daß der Liberale und der Sozialdemokrat auf taube Ohren gestoßen sind. Kanzleramtsminister Friedrich Bohl beantwortete die Fragen von Otto Schily, SPD, und die Vielzahl von Nachfragen stoisch: Erstens habe die Regierung nichts zu dementieren, zweitens sei die SPD schuld. Bohl verstieg sich zu der Behauptung, den Spiegel dieser Woche gar nicht gelesen zu haben. Der hatte enthüllt, daß im Kanzleramt darüber nachgedacht wird, auch ohne die Zustimmung der SPD zu einer Verfassungsänderung einen entsprechenden De-facto-Zustand herbeizuführen. „Die Regierung plant keinen Staatsstreich“, antwortete Bohl lapidar und umging jede konkrete Nachfrage. Um so wortreicher die Beschwörungen wie „Asylantenstrom“, „großer Aufruhr herrscht in den Gemeinden unserer Landes“, „Reserven erschöpft“. An jede Antwort angehängt das Ceterum censeo: Verantwortlich für all das ist die SPD, weil sie sich einer Grundgesetzänderung verweigert hat, weil die SPD- Länder ihre Verpflichtungen bei der Verfahrensbeschleunigung nicht erfüllen, weil sie sich Gesetzesverschärfungen verschließt, die allein ein entschiedenes Vorgehen gegen die ausländerfeindliche Gewalt möglich machen würden.
Die Rede von Johannes Gerster, stellvertretender Unions- Fraktionschef und Innenexperte, konnte eigentlich nur als Gegenteil eines Dementis verstanden werden. Er beschwor gar die „Katastrophe“. Die nämlich träte ein, wenn der SPD-Sonderparteitag in zwei Wochen sich einer Grundgesetzänderung verweigerte. „Diese Katastrophe abzuwenden, ist staatspolitische Pflicht. Für diese Situation darf es kein Denkverbot und kein Handlungsverbot geben.“ Gerster hatte den Begriff des Asylsicherungsgesetzes ins Gespräch gebracht.
Auch während der auf Verlangen der SPD einberufenen Sondersitzung des Innen- und des Rechtsausschusses war es zu hartem Schlagabtausch zwischen Union und SPD gekommen. Horst Eylmann (CDU) drückte sich. Die Diskussion um den Begriff Staatsnotstand, so der Vorsitzende des Rechtsausschusses, sei „völlig überflüssig“. Anstatt sich über Vokabeln zu streiten, sollten Regierung und Opposition lieber darüber beraten, wie der Artikel 16 geändert werden soll.
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