■ Querspalte: Seit' an Seit'?
Meine Freundin Annegret litt an einem großen Gewissenskonflikt: Soll ich, darf ich mit Helmut Kohl und den anderen CDU-Figuren demonstrieren? Und wenn ja, welche Pillen helfen gegen aufkommende Ekelgefühle? Eigentlich, sagte sie, war sie entschlossen, bei der morgigen Großdemo mitzumarschieren. Gründe dafür gäbe es genug: die Anschläge auf die KZ-Gedenkstätten in Sachsenhausen und Ravensbrück und die tagtägliche Gewalt gegen Ausländer. Aber, so sagte sie auch, ich kann doch nicht Seit' an Seit' mit jemand marschieren, der wegen der Asyldebatte den Staatsnotstand ausrufen wollte! Der ausprobierte, wo er die Verfassung übers Knie brechen kann, wenn die SPD sich weigert, ebenfalls die Axt ans Asylrecht anzulegen. Der den Skandal, daß der rechtsradikale Mob bis in die Gesetzgebung hineinregieren darf, durch das Geschwätz vom Staatsnotstand auch noch legitimierte. Mit so jemand, sagte Annegret gestern, kann sich doch kein anständiger Mensch blicken lassen. Doch da fiel ihr meine Freundin Beatrix ins Wort. Analyse richtig, Schlußfolgerung falsch. Wenn alle, die so denken wie du, zu Hause bleiben, dann überlassen wir der widerwärtigsten Verlogenheit das Feld. Wer zwingt dich, unter demselben Transparent zu laufen wie Herr Kohl? Du kannst endlich die wunderbare Gelegenheit nutzen, ihm in die Ohren zu schreien, was du von ihm hältst. Die CDU mag eine politische Krankheit sein, aber ansteckend ist sie nicht. Die Diskussion ging eine Weile so weiter. Mit dem Ergebnis, daß Annegret jetzt Tag und Nacht an einem besonders hübschen Transparent für den Erhalt des Artikels 16 bastelt. Ute Scheub
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