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Immer noch Untergrund

■ Sie klingen wie durchgedrehte Granitbrocken: Sonic Youth auf Deutschlandtournee

Sie sind Helden. Nicht zuletzt sie haben dazu beigetragen, daß sich Hörgewohnheiten ändern. Sonic Youth haben den White Noise, wissenschaftlich seziert, später als Klangteppich für normale Rocksongs, manchmal gar für Beach-Boys-Melodien benutzt, die natürliche Resonanz ist in abgeschwächter Form sogar in die Rock-Charts eingewandert.

Nicht zuletzt Sonic Youth haben Nirvanas Erfolg möglich gemacht. Nach elf Jahren und neun LPs haben auch sie sich ihren Platz im Geschäft gesichert, veröffentlichen längst bei einem Major Label. Aber noch sind sie Underground, noch sperren sie sich gegen die ihnen zugedachte Rolle, die populäre Musik zu revolutionieren, und nehmen eine Platte auf, die nicht nur „Dirty“ heißt, sondern auch so klingt. Überall Dreck, Schmutz, Abfall, da sind sie wieder, die dunklen Obsessionen, das Kranke aus den Anfangstagen, der vertonte Charles Manson.

Und „Dirty“ ist politisch, ganz sicher Sonic Youth's politischste Platte. Explizit durch einen Song wie „Youth Against Facism“, immer noch offensichtlich durch die Mitwirkung von Ian MacKaye von Fugazi und anderen aus der autonom-politischen Washington- D.C.-Szene, hintergründig durch die Musik, die sich der einfachen Vermarktung widersetzt. Noch ist nicht vorauszusehen, wann die Zeit reif ist für die wunderbare Welt der Rückkopplung, noch sind die Konzerte nicht nur das nötige Beiwerk zum Promotion-Zirkus, sondern sinnstiftende Veranstaltungen für eine Szene, die an sich selbst zweifelt. Denn die Achtziger weichten die Grenzen zwischen den Genres auf. Gut und Böse gab es nicht mehr, der Streit darum wurde den Großvätern überlassen. Das ist vorbei. Jetzt wird es wieder Zeit, sich der Härte der Realitäten zuzuwenden. Solange Flüchtlingsheime brennen oder ein Ross Perot 20 Prozent der Wählerstimmen bekommt, ist es nötig, die Grenzgräben tiefer zu ziehen. An den Poptheorien und dem subversiven Ansatz kann man wieder basteln, wenn die Zustände besser sind.

Und zu solchen Helden geht man nicht ins Konzert, Helden beehren einen. Und damit stehen sie eigentlich auch schon fast außerhalb jeder Kritik. Da ist nichts, wenn sie auf die Bühne kommen. Die Leute gröhlen und jubeln, und doch sind da nur vier herzlich normal aussehende Menschen. Doch in dem Moment, in dem die Gitarren angeschlossen sind und Thurston Moore, Kim Gordon, Lee Ranaldo und Steve Shelley beweisen, daß man für manche Musik einfach elektrische Verstärkung braucht, wachsen die Menschen auf der Bühne zwar noch nicht, aber die Musik steht groß und mächtig da und will so genommen werden und nicht anders. Aufdringlich wäre noch untertrieben. Gordons Baß klingt, als wären die Granitbrocken im Steinbruch durchgedreht. So soll das sein. Die Gitarren schwellen an und schwellen ab, explodieren. Sonic Youths Großartigkeit besteht auch darin, daß ihre Musik bei aller Gewalt sehr zart ist, daß es jeden Moment viele Töne gibt, die man einzeln hören kann und soll, die klein und nett sind, ein zirpendes Quietschen, die brummelnde Stimme von Gordon, die sich einschmiegt. Thurston Moore hatte in Berlin offenbar ein paar bewußtseinserweiternde Substanzen zuviel zu sich genommen. Seine Ansagen quälten sich nur schmerzhaft langsam über seine Lippen. Vielleicht liegt es daran, daß der Gig nach einigen wenigen Auftritten zerfasert wie ein Grateful-Dead-Konzert im goldenen Hippiezeitalter. Der White Noise verkommt zum Selbstzweck, die Songs werden länger und länger, Bekannte werden gegrüßt, das Publikum verarscht, die Einheit zwischen Licht, Dia-Projektionen, Musik und Statement geht verloren. Die anfängliche Euphorie verliert sich, nahezu widerspruchslos wird nach nur einer Zugabe das Ende des Konzerts akzeptiert. Morgen ist ja auch wieder ein Tag. Thomas Winkler

Sonic Youth spielen am 18. und 19.11. in Hamburg, am 20.11. in Bielefeld, am 21.11. in Köln.

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