: Posten, Projekte, Paragraphen
Perspektiven feministischer Frauen- und Lesbenpolitik für die 90er Jahre/ Auf der vierten Bundesfrauenkonferenz der Grünen ging es um den weiten Wurf ■ Aus Kassel Karin Flothmann
Kinder, Küche, Kirche? – Längst sind sie abgelöst worden, diese drei K's, die das weibliche Leben charakterisieren. Drei P's stehen nun, wie es scheint, im Zentrum der westlichen, feministischen Bewegung: Posten, Projekte, Paragraphen. Zu visionären, feministischen Würfen inspirieren diese drei P's kaum. Der Feminismus will eine andere Gesellschaft kreieren. Doch diese Vision blieb, so ein Fazit auf der vierten Bundesfrauenkonferenz der Grünen in Kassel, im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf der Strecke. So resümierte die Ökonomin Ingrid Kurz- Scherf, die die drei P's kreierte, treffend: „Feministinnen wollten die Frauenförderung nicht als Karriereförderung. Und Projekte waren zu Beginn der Frauenbewegung nicht als Nischen gedacht.“
Frau hatte sich am vergangenen Wochenende viel vorgenommen für diese vierte Bundesfrauenkonferenz. Spätestens seit dem Auszug der Grünen aus dem Parlament wurde es ruhig um ihre Frauenpolitik. Die alten Häsinnen zogen sich, entnervt von Fraktionsgeklüngel und Grabenkriegen, zurück, und so waren unter den 300 Teilnehmerinnen der Bundesfrauenkonferenz diesmal vor allem jüngere Frauen zu finden. Unter dem ultimativen Motto „Jetzt oder nie!“ sollten kritische Rückschau und die Fähigkeit zur Utopie miteinander vereint, sollten Perspektiven feministischer Frauen- und Lesbenpolitik für die 90er Jahre entwickelt werden, sollten Feministinnen aller Couleur, so der Anspruch der grünen Bundesfrauenreferentin Erika Märke, wieder miteinander ins Gespräch kommen. „All unsere kraftraubenden Kämpfe der 80er Jahre haben zwar viel in Bewegung gebracht, aber den entscheidenden Durchbruch im Beton der Männerherrschaft haben wir nicht geschafft“, war Märkes Fazit zehnjähriger Frauenpolitik. Zum Nachdenken, zur Entwicklung von Utopien wollte die Konferenz nun anregen. Die ehemalige Gewerkschafterin Ingrid Kurz-Scherf plädierte für die Weiterentwicklung feministischer Utopien, für feministische, in die Zukunft weisende Gesellschaftsentwürfe, die sich durchaus aus der Tradition bisheriger feministischer Theorie und Praxis entwickeln ließen. Kurz-Scherf monierte lediglich, die Frauenbewegung habe zu schnell „die Politik der kleinen Schritte, das Denken in kleinen Häppchen“ übernommen. „Wir müssen die Arbeit an unseren Visionen wieder aufnehmen, und wir müssen damit handeln.“
Daß sich ihre Visionen lediglich auf die Erfahrungen und Traditionen westlicher Feministinnen bezogen, kam Kurz-Scherf nicht in den Sinn. „Ich kann mir nicht den Luxus leisten, ob ich sechs oder acht Stunden arbeiten will“, meinte die Afro-Brasilianerin Anna Lucia Florisbela dos Santos zu Kurz-Scherfs Appell für weitere Arbeitszeitverkürzung, „ich arbeite, um zu überleben.“ Dos Santos fühlte sich denn auch eher als „Alibi-Schwarze“ auf dem Kongreß der grünen Frauen. „Ich bin Ökonomin, aber eingeladen wurde ich nicht zur Ökonomie-AG, sondern um über das Schwarzsein zu sprechen.“
Im Gegensatz zu Kurz-Scherf charakterisierte die Berliner Professorin Christina Thürmer-Rohr die Entwicklung der westlichen Frauenbewegung als Bewegung der fortlaufenden Selbstbeschränkung. „Die anfängliche Frauenbefreiungsbewegung wurde zur Frauenbewegung, dann zur Frauenprojektebewegung.“ Weißen Feministinnen warf sie vor, sie hätten rassistische Herrschaftsverhältnisse kaum in die eigene Patriarchatskritik integriert, seien damit letztlich selbst rassistisch.
Auch Anna Lucia Florisbela dos Santos versuchte aufzuzeigen, wie weit rassistische Strukturen in die Sozialisation weißer Frauen hineinreichen. Jede kennt das Lied von den „Zehn kleinen Negerlein“, jede spielte auf dem Schulhof irgendwann einmal das Spiel „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann“. Dos Santos' Appell, daß Veränderungen erst möglich seien, „wenn weiße Frauen bereit sind zuzugeben, daß sie selbst rassistisch sind“, stieß jedoch auch auf heftige Gegenreaktionen. Eine gar nicht sprachlose Teilnehmerin proklamierte prompt: „Ich bin in diesem Land ein ansozialisiertes Opfer. Als Frau bin ich sprachlos gemacht. Und nun wirfst du mir vor, Täterin zu sein. Du nimmst mir mit deinem Vortrag die Luft zum Atmen!“
Angelegt wie eine Volksuni kam denn in Kassel diesmal – anders als noch vor zwei Jahren, als die grünen Frauen die deutsche Einheit wortlos an sich vorüberziehen ließen – alles zur Sprache, was feministische Frauenherzen im derzeitigen Klima des politischen Rollbacks bewegt. Ähnlich weit gestreut waren auch die Forderungen an die Grüne Partei, die von der Entwicklung weiblicher ökologischer Wirtschaftsmodelle bis hin zur klassischen Forderung nach der Durchsicht von Schulbüchern auf Rollenstereotype reichten. Visionen und feministische Utopien blieben letztlich nur Worthülsen.
In letzter Minute verabschiedeten die wenigen noch verbliebenen Teilnehmerinnen im Schnellverfahren drei Resolutionen. (Keine Konferenz ohne Resolution!) Mit eindeutiger Mehrheit wandten sich alle Teilnehmerinnen gegen das „Erlanger Experiment“ mit der hirntoten Marion P., deren Körper „als menschlicher Brutkasten mißbraucht wird“, und forderten die sofortige Beendigung des Experiments. Außerdem beschloß die Konferenz eine Resolution gegen Rassismus und Gewalt und für eine neue Verfassung und sprach sich unter anderem für den Erhalt des Artikels 16 aus.
Immerhin besannen sich die grünen Frauen in letzter Minute auch noch auf parteipolitische nahe Realitäten. Die Verhandlungen zwischen Grünen und Bündnis90 gestalten sich gerade in puncto Quotierung zäh und schleppend. Mit ihrem Votum bekräftigte die Bundesfrauenkonferenz, daß die Mindestparität von 50Prozent und das Frauenstatut der Grünen bei den Verhandlungen nicht zur Disposition stünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen