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Wenn die Roben gewechselt werden

■ Deutsche und polnische RichterInnen auf Exkurs in ihre Vergangenheit

Meißen (taz) – Das „Merkblatt über die Amtstracht im Geschäftsbereich des Ministers der Justiz“ von Sachsen-Anhalt regelt unmißverständlich: „Die Robe wird über der Kleidung getragen.“ Also kann sie jeder sehen, die „Quetschfalte“ im „Rückenteil“, wo „beiderseitig die Falte 2 cm tief liegt“, und zwar „zugesteppt“. Der Zeitschrift Betrifft Justiz gefiel dieses feinsinnige Reglement so gut, daß sie es als Editorial in ihrer Septemberausgabe veröffentlichte. Es waren aber nicht Schnittmusterbogen, was fünfzig RichterInnen und StaatsanwältInnen aus den neuen und alten Bundesländern sowie aus Polen ein Wochenende lang in Meißen an der Elbe austauschten. Auf Einladung der Evangelischen Akademie Meißen und des sächsischen Landesverbandes der Neuen Richtervereinigung diskutierten sie über Rechtsprechung im totalitären Regime, über gewendete Roben und ihre geläuterten TrägerInnen. Neu sind diese Fragen nicht. Einen nachdenklichen Diskussionsbeitrag lieferte der Wiesbadener Richter Horst Häuser in jener Zeitschrift zum „Unvermögen der Deutschen, sich als Subjekt der politischen Prozesse zu begreifen“. Auch das sächsische Justizministerium hatte mehrere Foren zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts organisiert. Neu war jedoch, für dieses Gespräch auch die Erfahrungen, die Meinungen der Nachbarn zu suchen.

Der Warschauer Richter Marek Wojnar erläuterte, warum Polen einen anderen Weg bei der demokratischen Erneuerung der Justiz gehe als Deutschland. Nicht Überprüfung und, wo es demokratische Grundsätze nahelegen, die Absetzung von belasteten RichterInnen, sondern deren „Selbstläuterung“ sollte die Wende in der polnischen Justiz markieren. Leider eine trügerische Hoffnung, wie der junge Richter resümierte. Wojnar beschrieb den Konflikt so: „Einerseits sind bestimmten Personen die Grundsätze der Demokratie offenbar fremd. Andererseits wäre es verfassungswidrig, per Gesetz Menschen zweiter Klasse zu schaffen.“ Das Prinzip der Unabsetzbarkeit von RichterInnen dürfe nicht angetastet werden. Erstmals formuliert wurde es im Gerichtsverfassungsgesetz von 1928. Die Exilregierung erließ 1944 in London ein Dekret, das jeden Einfluß der Exekutive auf die Justiz ausschloß. Eine Freiheit, „die nie verwirklicht werden konnte“, bis es schließlich Solidarność gelungen war, am Runden Tisch die richterliche Unabhängigkeit wieder herzustellen. Seit längerem liege ein Gesetzentwurf des Justizministers vor, der die Selbstverwaltung einschränken wolle und sich angeblich gegen „Altlasten“ der Justiz richte. Ein „steckengebliebenes Projekt“, das dem Referenten zufolge nicht nur in die Vergangenheit ziele, sondern „dem Justizminister permanent ermöglicht, jeden Richter zu überprüfen“.

Noch genießen Polens RichterInnen ein Selbstverwaltungsrecht, das Rechtsexperte Bernd Kunzmann (SPD) im Vergleich mit Sachsen nur als „erstaunlich“ bezeichnen konnte. Im Freistaat wurde vor einem Jahr die Überprüfung der RichterInnen abgeschlossen. Von 664 RichterInnen hatten sich 529 beworben, zugelassen und neu berufen wurden 345. Richard Rudisile, Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart, war damals ins sächsische Justizministerium abgeordnet worden, um die Richterwahlausschüsse mit aufzubauen. In Meißen zog er Bilanz: „Das Wichtigste war, schnell Vertrauen zu schaffen, und ich meine, es ist sowohl gelungen, die schlimmsten Repräsentanten des Unrechtsstaates herauszufinden als auch jene aufzufangen, die im Grenzbereich zwischen Recht und Unrecht tätig waren.“ Maßgebend für die Entscheidungen in den Richterwahlausschüssen seien nicht etwa individuelle Schuldvorwürfe gewesen, sondern die „objektive Verstrickung im alten System“.

Sie sind „durchgekommen“, die Ost-Richter, angenommen worden von Justitia im neuen Deutschland, dennoch fühlen sie sich noch unwohl unter ihren neuen Roben. Eine junge Arbeitsrichterin sprach von ihren Schuldgefühlen gegenüber ehemaligen KollegInnen, die nicht bestätigt worden waren. Wäre sie, wie diese, damals im politischen Strafrecht tätig gewesen, „ich hätte doch auch verurteilt“. Es war ein Pole, der ironisch fragte, ob es „nicht viel einfacher gewesen wäre, gar keine Ost-Richter zu übernehmen. Warum haben Sie sich denn soviel Probleme aufgeladen?“ Nein, entgegnete die Münchnerin Sophie von Ballestrem, es solle nicht der Eindruck entstehen, als ob „im Westen nur die guten und im Osten die schlechten Richter“ gearbeitet hätten. Sie möchte mit östlichen KollegInnen „auch über meine Amtsführung in früheren Jahren reden. Aber sie müssen kommen, ich möchte sie nicht damit verfolgen müssen.“ Über seine Skrupel, in den Rehabilitationsausschüssen mitzuarbeiten, sprach ein Arbeitsrichter aus Bautzen: eine Bequemlichkeit, die ihm von den westlichen Kollegen „nahegelegt“ werde, die vermeintlich ihre „eigene Überlegenheit konservieren“ wollen. Schwellenangst vor der eigenen Vergangenheit, die wohl auch daher rührt, daß es eine für die RichterInnen im Osten erkennbare Befragung altbundesdeutscher Justizgeschichte bisher nicht gegeben hat.

Er möchte, sagte deshalb ein Hamburger Richter, auch endlich rehabilitiert werden. Mit anderen KollegInnen hatte er Anfang der 80er vor einem Depot mit Atomraketen gestanden. Höchste Zeit, auch über Gesinnungsstrafrecht in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, über die Blockade- und Berufsverbotsprozesse zu reden. Der Autor des bereits erwähnten Artikels in der Zeitschrift Betrifft Justiz fragt die Richter, ob sie sich nicht doch „bloß als Objekt und nicht als Subjekt der politischen Prozesse in unserer Demokratie“ begreifen. In Meißen kam ein Gespräch darüber leider nicht zustande. Die Moderatorin lenkte zugleich „zum Thema“ zurück. Es sei ausreichend, „daß wir darauf hingewiesen haben: In der alten BRD war auch nicht alles zum besten bestellt.“ Detlef Krell

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