„Wer vergleicht, beleidigt die Opfer“

Bremen gedachte der Pogromnacht von 1938/ Ignatz Bubis warnte davor, die staatlich gesteuerten Pogrome heute mit rechtsextremistischen Ausschreitungen zu vergleichen  ■ Aus Bremen Jochen Grabler

„Es kann nicht angehen, daß Politiker den Wählern nach dem Munde reden, weil sie Stimmen zurückgewinnen wollen.“ Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, fand gestern deutliche Worte zum Gedenken an die fünf Bremer Juden, die am 9. November 1938 in ihren Wohnungen ermordet worden waren. Kein Gedenken wie in jedem Jahr: Das Datum hatte mehr Menschen als sonst mobilisiert. Vorher hatten SchülerInnen auf dem Marktplatz demonstriert, und einige waren noch dageblieben. Dichtgedrängt standen rund 500 Alte und Junge, von den SchülerInnen bis zur Bremer Politprominenz. Und Ignatz Bubis hielt eine politische Rede, nur wenige Meter entfernt von dem Platz, an dem die Bremer Synagoge gestanden hat. In der Nacht auf den 10. November wurde sie angezündet, sie brannte bis auf die Grundmauern ab.

„Es steht zwar nicht im Manuskript, aber ich werde etwas zu Berlin sagen“, hatte er noch vor der Kundgebung angekündigt. Und er sagte dann doch kein direktes Wort. Aber genug, was sich sowohl an die politisch Verantwortlichen als auch an die Bevölkerung richtete. „Noch ist unser gesellschaftliches System in der Lage, der Situation Herr zu werden“, sagte er. Noch. Aber die Warnungen seien nicht zu überhören. Es sei ein Zeichen, daß rechtsextreme Parteien Zulauf gerade unter jungen Leuten bekommen. Deutschland sei wieder in Gefahr, in einen Taumel der Ausgrenzung und des Wegsehens zu verfallen.

Immer wieder müsse klargemacht werden, wohin Ausgrenzung führe. „Man kann fragen, ob dieser Tag nach 54 Jahren immer noch begangen weren muß. Ich sage dazu ein klares Ja.“ Der Tag sei ein Symbol dessen, was auch zur Vernichtung der Juden geführt habe: das Wegsehen. Damit schlug Bubis den Bogen zur Gewaltstimmung im heutigen Deutschland.

Warnungen, keine Parallelitäten. Vehement wehrte sich Bubis gegen die Gleichsetzung von 1938 und 1992. Die Pogrome damals seien staatlich gesteuert gewesen und damit einer von vielen Marksteinen zur Vernichtung des europäischen Judentums. Davon könne heute keine Rede sein: „Wer das mit heute gleichsetzt, beleidigt die Opfer.“ Doch als er mit wenigen Worten den Weg der Ausgrenzung bis nach Auschwitz beschrieb, wurden die Ähnlichkeiten deutlich: „Wir Juden wurden allein gelassen. Die deutsche Öffentlichkeit war schweigend, gleichgültig, duldend. Die Wunden dieses Brandes sind nicht verheilt.“

Es gehe nicht darum, die Schuld der jungen Generation aufzuladen, sondern es gehe um die Verantwortung für die Gegenwart, mit der Vergangenheit im Gedächtnis. „Das sind wir den Kindern und Enkeln schuldig, die vielleicht ihre Großeltern nie gekannt haben, weil sie im KZ umgebracht wurden.“ Nur mit Mühe konnte Bubis weitersprechen. Die Übernahme der Verantwortung: das hieße eben auch, daß, wer Brandsätze in Wohnungen werfe, nicht wegen Landfriedensbruch bestraft werden solle. „Das ist Brandstiftung und versuchter Mord.“

Die Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU, Grünen und FDP legten einen Kranz nieder. Der Oberrabbiner der bremischen jüdischen Gemeinde betete einen Kaddisch für die Toten, und für einen Moment legte sich Stille über den Platz. Am Ende war die Rundfunkjournalistin Karla Müller-Tupath, selbst Mitglied der jüdischen Gemeinde, erleichtert. Sie hatte die Veranstaltung zuvor eingeleitet: „Ich bin glücklich, daß alles so friedlich abgelaufen ist und nicht wie in Berlin.“